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35. Jahrgang InternetAusgabe 2001
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lV. Der Generalstab als Ersatz für das mangelnde Genie des Feldherrn (*)

 

 Der Geist des Positivismus, den Scharnhorst bereits im hannöverschen Generalstab erkannt und bekämpft hatte, beseelte den preußischen Generalstab in ausgesprochener Weise. Das Prestige der preußischen Militärmaschine sowie ihre Kriegstüchtigkeit galten als über jeden Zweifel erhaben, ihre Kriegskunst durch die überlieferten Rezepte, insbesondere durch die Testamente des großen Königs gesichert, so daß man glaubte, auch ein militärisch minderbegabter Herrscher werde an der Spitze des preußischen Heeres und seines Offizierkorps den künftigen militärische Aufgaben des Staates gewachsen sein.

  Friedrich der Große hatte die Operationspläne wie die notwendigen Dispositionen und Instruktionen zu seinen Feldzügen selbst entworfen. Die Führung der Schlacht lag in seiner Hand. Er war nicht nur sein eigener Feldherr, sondern, wenn man den Begriff Generalstab hier überhaupt brauchen will, sein eigener Chef des Generalstabs. Soweit er Offiziere zur Mitarbeit heranzog, verwendete er sie als Adjutanten oder Ingenieure. Zu einer schöpferischen militärischen Tätigkeit im Bereich der höheren Kriegskunst wurde jedoch kaum einem dieser Offiziere Gelegenheit geboten. Als Friedrich der Große starb, bestand der sogenannte Generalquartiermeisterstab aus etwa zwei Dutzend von Offizieren, die sich hauptsächlich mit Terrainaufnahmen beschäftigten, während die so genannten Ingenieurgeographen das Material zusammenstellten und die Karten ausfüllten. Neben diesen Quartiermeisteroffizieren gehörte das Feldjägerkorps mit seinen vielfältigen Diensten als Melder und Kuriere sowie den berühmten „Kolonnenjägern“ als Einweiser der Truppen bei Märschen ebenso zum Generalstab wie die „Brigademajors“, eine „Art mobiler Platzoffiziere“.[i] Für die Beschäftigung dieser Art des Generalstabs ist eine Instruktion aus dem Jahre 1801 bezeichnend, die die bisher üblichen Aufgaben noch einmal kurz zusammenfaßt.[ii] Massenbach erkannte die Situation richtig, in der sich der preußische Staat politisch und militärisch befand. Er geht davon aus, daß nach dem Tode Friedrichs II., der als Staatsmann und Feldherr die Leitung des Staates wie der Armee in der Hand hatte, niemand mehr in der Lage sei, diese Funktionen in sich zu vereinigen, während auf der anderen Seite durch das Genie Napoleons dies in hervorragender Form geschieht. Dazu sieht er das europäische Gleichgewicht durch die Französische Revolution empfindlich gestört. In einer Zeit, in der sich die Form einer neuen Kriegführung bereits klar abgezeichnet, und in der zugleich das militärische Genie Napoleons die Aufmerksamkeit der politischen wie militärischen Kreise immer stärker auf sich zieht, empfindet man in Preußen besonders stark das Fehlen einer Institution, die unter einheitlicher Leitung und großen Gesichtspunkten die militärischen Aufgaben des preußischen Staates hätte lösen können.

  Massenbach verlangt zunächst den „Einklang“ zwischen Politik und Kriegführung, der seit dem Tode Friedrichs nicht mehr gewährleistet war. Sodann fordert er eine gänzliche innere Wandlung in der Einstellung der Führung des preußischen Staates zum Krieg. „Der König und seine Herren Brüder“ müssen auf die große Kunst, „auf das Wissenschaftliche des Krieges aufmerksam gemacht werden“[iii]. Sie sollen sich losmachen vom „Mechanismus des Exerzierens und nicht länger darin das Heil des Staates erblicken“. Es ist dies „die allerwichtigste Vorbereitung zum Kriege“[iv]. Sie sollen erkennen, daß künftige Feldzüge Entwürfe verlangen, die von dem Krieg „im Großen“ und „im Ganzen“ ausgehen, die „reif und tief durchdacht werden“. Deshalb dürfen in Zukunft nur Könner den König beraten, Männer, „welche sich dem Studio des großen Krieges ganz vorzüglich gewidmet“, ihn „zum allgemeinen Studio eines ganzen Lebens“[v] gemacht haben” und nicht wie bisher der Generaladjutant. Er nimmt, da der König von der Kriegführung nichts versteht, eine überragende Stellung ein, obwohl er keinerlei taktische oder strategische Kenntnisse besitzt, im übrigen weder die Armee noch die „Kriegstheater“ des Staates kennt. Zu diesem Zweck soll der Generalstab als eine Sachverständigenorganisation geschaffen werden, die sich besonders der Aufgabe widmet, auf Grund ihres Wissens um die Zusammenhänge zwischen Politik und Kriegführung dem König fundierte Ratschläge zu geben.

 Massenbach sieht den entscheidenden Mangel, der im preußischen Staat hinsichtlich der Kriegführung besteht. Es gibt niemanden, der sich „mit dem großen Krieg“ eingehend beschäftigt, vor allem Operationspläne auf Grund des Zusammenhangs zwischen Politik und Kriegführung ausarbeitet. Sein Argument, daß der König keine Entscheidung fällen kann, weil er „den großen Krieg nicht kennt, ihn nicht zu seinem Studio gemacht hat«[vi] und daher unverantwortlichen Ratgebern Gehör schenkt, ist durchaus zutreffend. Wie mangelhaft insbesondere die durch den Generaladjutanten erfolgte Beratung des Königs war, hat Scharnhorst später bestätigt, wenn er erklärte: „Der Generaladjutant, gewöhnlich ein Infanterie Offizier ohne höhere militärische Kenntnisse, trug ohne Vorbereitung und Beratung alle Gegenstände des Ingenieur und Artilleriewesens, der höheren Anordnungen zum Kriege, des Details der Infanterie und Cavallerie u. s. w. vor“. Der König erhielt „gewöhnlich von keiner anderen Sache gehörige Auskunft, als von den niederen Gegenständen des Infanterie Dienstes“[vii]. Diesem Zustand will Massenbach abhelfen. Die hier vorhandene Lücke soll durch den Generalstab geschlossen werden.

Im Generalstab sollen

„die Kenntnisse, die Wahrheitsliebe und der Scharfsinn mehrerer sich in einem Centralpunkt vereinigen«[viii].

Dies wird „Kriegsentwürfen das Dasein geben, welche nach den richtigsten Grundsätzen bearbeitet worden sind“. „Keine schwankenden, auf falschen Grundsätzen beruhende Meinungen werden dann in Zukunft dem König vorgetragen“, sondern nur „lange geprüfte, reine Wahrheit«.

Der Generalstab selbst ist die Institution, die dem König

„reine, ewige, unabänderliche Wahrheit, rein wie gediegenes Gold.«[ix]

in ihren Plänen vorlegt. Wenn der König sie genehmigt, so erteilt er nur der „ewigen, unabänderlichen Wahrheit« Sanktion, die dann im Grunde nur eine Formalität ist. Kann doch der König gar nicht anders als zustimmen, wenn ihm auf dieser Wahrheit beruhende Vorschläge gemacht werden.

Der Generalstab repräsentiert so nach Massenbach in einer Kollektivorganisation das Äußerste, was an Wissen und Können im preußischen Heer vorhanden ist. In ihm sitzen denkende Offiziere, auf Grund einer „strengsten Prüfung“ in einem besonderen Verfahren ausgesucht, keine bloßen „Majors mit Federhüten“[x]. Der Generalstab bietet damit denjenigen Ersatz, den das preußische Heer beim Fehlen des Genies aus sich heraus zu stellen vermag. „Die vorige Regierung hat keiner neuen Generation großer Männer das Daseyn gegeben.“ Statt zu warten, ob ein neues Genie auftritt und sich der Hoffnung auf „den Zufall“ zu überlassen, trifft das preußische Heer mit der Errichtung des Generalstabes

„Anstalten, brauchbare Männer zu bilden und überall Geisteskraft und Genie zu wecken“[xi].

 Der König selbst kann sich den Ersatz für sein eigenes fehlendes Genie im Generalstab organisieren. Die einzelnen, dem Generalstab angehörenden Offiziere stellen dann ihrerseits den Ersatz für die mangelnden Feldherrntalente der mittleren Führung dar. Sie beraten und ergänzen sie in ihrem fehlenden Wissen.

 Die Auffassung vom Generalstab als Ersatz für das Genie des Feldherrn ist in der Situation des preußischen Staates, in der Massenbach schreibt, berechtigt. Das entscheidende Problem ist nur, wie dieser Gedanke durchgeführt werden solL Massenbach ist Fanatiker der Topographie. Zwar nimmt sein beweglicher Geist alle Ideen, die in der Zeit liegen, auf und bringt sie irgendwie zum Ausdruck[xii]. Im Ergebnis werden sie jedoch nur zur Rechtfertigung seiner Lieblingsidee, der terrestrischen Kriegskunst, benutzt. „Von der Tanne bis zum Schilfrohr“ muß man, so hören wir von dem Oberleutnant Valentini, der Massenbachs Brigade als Offizier zugeteilt war, „alles beschreiben und zeichnen“[xiii]. Clausewitz spricht von Massenbachs „schlimmer Tendenz, überhaupt den räumlichen Beziehungen eine übermäßige Wichtigkeit beizulegen, die Streitkraft selbst aber sowie das Gefecht und seine Folgen aus den Augen zu verlieren“. Wer Massenbachs Anweisungen darüber liest, „worauf die Officiere des Generalstabs bei der Bereisung einer Provinz zu sehen haben”[xiv], findet dies bestätigt. Da, wo Massenbach die mathematisch orientierte Manöverstrategie überwinden und von den Fesseln der Geometrie befreien will, landet er in der Militärgeographie. Jede große strategische Zielsetzung hemmt er durch seine geographischen Prämissen. Sein strategisches Wertsystem ist topographisch gebunden. Der geniale Feldherr ist für Massenbach das topographische Genie, das auf Grund seiner topographischen Kenntnisse überall strategische „Punkte“, die ihm bestimmte Operationen vorschreiben, sieht, von denen es sich dann in seinen Überlegungen abhängig macht. Der Generalstab ist dementsprechend Ersatz für das fehlende topographische Genie und selbst in seiner Arbeit weitgehend topographisch festgelegt.

 

V. Der Zusammenstoß zwischen Generalstab und Militärhierarchie

1. Die Angst der Generale vor dem Übergriff in ihre Kompetenz

 Der König hatte die Denkschriften Massenbachs an die hohe Generalität, den Herzog von Braunschweig, den Fürsten Hohenlohe, den Feldmarschall von Moellendorff, den Generalleutnant von Geusau und den Generalmajor von Zastrow, einen zweiten Entwurf Massenbachs an die Generalleutnante von Rüchel und Tempelhoff gesandt und zur Stellungnahme aufgefordert. Der Grundthese Massenbachs, daß „der große Krieg“ durch ein besonders gualifiziertes Gremium bearbeitet und vorbereitet werden müsse, stimmten die Generale im allgemeinen mit freundlichen Worten zu[xv]. Rüchel erklärte:

„Das Bild des Krieges muß man im Frieden entwerfen und das Bild des Friedens im Kriege ins Auge fassen.“[xvi]

Die Einheit von Politik und Kriegführung zu schaffen, sei gleich wichtig, denn

„beide Gegenstände greifen ineinander ein, scheinen nur separiert durch den Begriff des Degens und der Feder, sind aber in Wirklichkeit nur eins für den Staat“[xvii].

 Tempelhoff meinte, es könne

 „die Bearbeitung besonders der wahrscheinlichsten Fälle, auf welche Art der preußische Staat mit seinen Nachbarn in einen Krieg verwickelt werde, von einem sehr ausgebreiteten Nutzen seyn“, denn „wenn gleich die Fälle nie wirklich so eintreten, als sie in der Einbildung gedacht werden, so sind sie doch eine ganze vortreffliche Übung für den Strategen, und wer eine Menge von Fällen schon durchdacht hat, dem fällt es gar nicht schwer, neue und noch nicht gedachte Fälle im Kriege mit einer Leichtigkeit, Gründlichkeit und Schnelligkeit zu bearbeiten, die man von demjenigen nicht erwarten kann, der mit dieser Art von Arbeit noch nicht so bekannt ist“[xviii].

 Die Generale bejahten also den Generalstab in der Form eines den König beratenden militärischen Gremiums, des später sogenannten „großen Generalstabs“. Von dessen Tätigkeit sahen sie sich auch wenig betroffen. Sie würde sich, so glaubte man, in dem engen Kreis um den König in der Form der Diskussion von Projekten vollziehen. Man kannte diese Methode und wußte, wie ungefährlich sie bei dem schwankenden Charakter des Königs war. Ob zu den ständig neu hier auftauchenden Vorschlägen und Plänen noch solche über die Möglichkeiten künftiger Kriegführung traten, war im Grunde gleichgültig. Man ging dabei von der selbstverständlichen Voraussetzung aus, daß die hohe Generalität in ihren hervorragendsten Vertretern zu dem den König beratenden Kreis gehören würde. Man hatte dann die Möglichkeit, jederzeit in die Diskussion einzugreifen und solche Pläne, mit denen man nicht übereinstimmte, zu Fall zu bringen.

 Anders war die Situation jedoch, soweit es sich um den Truppengeneralstab handelte und der Chef des Stabes Befugnisse ausüben sollte, die den Bereich umfaßten, in dem der kommandierende General bisher allein schaltete und waltete. Hier stoßen Massenbachs Ideen auf schärfste Ablehnung. Die Generalität war gewohnt, im Generalquartiermeisterstab nichts anderes als einen technischen Apparat, den „stato“ des Feldherrn zu sehen. Sie wollte von den Offizieren des Generalquartiermeisterstabes in bezug auf ihre Operationen lediglich die Frage beantwortet haben, „wo die Eigenheiten der Erdoberfläche einer Stellung“, die es zu nehmen galt, „zustatten kommen und ihr einige Festigkeit mehr geben oder nicht“.[xix] Je eindeutiger der Generalquartiermeisterstab auf diese engbegrenzte Aufgabe festgelegt war, desto besser erschien es ihnen. Sie glaubten, die Bewegungen des Heeres „nicht nur allein bestimmen um festsetzen zu können, sondern auch allein berechnen und entwerfen“ zu müssen und sprachen sich scharf gegen den neuen, viel „zu großen Wirkungskreis“ aus, den der Generalstab nach Massenbachs Vorschlägen erhalten sollte. Insbesondere sahen sie es als „unter der Würde des kommandierenden Feldherrn“ stehend an, „dieses Geschäft mit anderen zu beraten“[xx]. Sie beriefen sich wie immer, wenn es das Alte zu erhalten galt, auf die Autorität Friedrichs des Großen[xxi]. Sie versuchten insbesondere der Ausdehnung der Zuständigkeit des Generalstabs auf den Bereich des kommandierenden Generals mit dem Einwand zu begegnen, eine solche Maßnahme stünde im Widerspruch zu den Grundprinzipien der preußischen Armee. Ihre tragenden Pfeiler, die Subordination im Heer und der von allen preußischen Königen anerkannte und immer wieder bewährte Grundsatz, daß nur einer, und zwar der kommandierende General, führen und die Verantwortung tragen könne, gerieten ins Schwanken. Sie wußten, daß sie mit diesem Hinweis eine besonders empfindliche Stelle beim König trafen.

 Massenbach änderte auf diese Argumente hin seine Taktik. Er hatte dem König die überragende Bedeutung des Generalstabs als derjenigen Organisation darzustellen gewußt, deren Erkenntnisse als „reine, ewige, unabänderliche Wahrheit” zu gelten hätten, die von ihm im Interesse der Erhaltung des Staates zu akzeptieren seien. Den Generalen gegenüber bagatellisierte er die Stellung des ihnen beigeordneten Chefs mit seinem Stabe. Statt dessen rückte er die Person des Generals in den Vordergrund, die nur deshalb bisher nicht die ihr zukommende Position einzunehmen vermöchte, weil der General sich zu sehr um das Detail zu kümmern hätte. Dies würde mit der Durchsetzung der neuen Pläne anders werden. Aufgabe des Generalstabs sei es, gerade das Detail dem General abzunehmen, um ihm auf diese Weise zu ermöglichen, sich mit den seiner Stellung angemessenen Aufgaben zu beschäftigen, insbesondere „den Operationenplan des Feldzuges und des ganzen Krieges zu überdenken“[xxii]. Erst dann sei er in der Lage,

„gleichsam wie ein Wesen höherer Art über diesen Gegenständen, deren detaillierte Bearbeitung seiner Sache nicht wert (sei), sondern dem Generalstab zugehöre, zu schweben“ [xxiii].

 Die entscheidende Tätigkeit des Chefs des Stabes, die gerade in der Beratung des unfähigen kommandierenden Generals bestehen sollte, konnte man jedoch schlecht als Abnahme des Details bezeichnen. Sie wurde von den Generalen auch keinesfalls so gewertet, sondern gerade hierin der Eingriff in ihre bisherige Führungskompetenz gesehen. Aber auch demgegenüber versuchte sich Massenbach mit der Bagatellisierung der Aufgabe des Generalstabs zu helfen. Er erklärte, der Chef des Stabes sei nur der „Registrator des Generals“, der die für das kriegerische Geschehen wesentlichen „Materialien hervorsuche und sie ihm nach und nach im Lauf der Operationen, soweit sie erfordert werden, vorlege”. Diese wiederum seien „keineswegs Vorschrift«, sondern „nur Leitfaden, an den man sich einigermaßen halten” könne.

 Von Massenbachs Sicht aus war dieses Argument gar nicht schlecht gewählt. Inbegriff der Tätigkeit des Generalstabs ist für ihn eine bis ins einzelne gehende topographische Bearbeitung des Landes als unabdingbare Voraussetzung für alle strategischen Maßnahmen. Mit jedem Sumpf, Fluß oder Hügel als strategischen „Punkten“ sieht Massenbach bereits den Zwang zu einem bestimmten Handeln gegeben. Das gesamte operative Handeln ist durch die topographischen Gegebenheiten weitgehend bereits im voraus bestimmt. Wer die von Massenbach entworfenen „Tabellen zur topographisch militärischen Kenntnis eines Landes« durchgeht, spürt deutlich die Fesseln, die jeder operativen Tätigkeit angelegt werden. Breitet der im Massenbachschen Geiste geschulte Generalstabsoffizier das im Laufe der Operationen jeweils erforderliche Material vor seinem General aus, so verbindet er damit bereits eine stille, aber sehr eindeutige Mahnung zu einem ganz bestimmten Handeln. Massenbach kann daher den Chef des Stabes, ohne viel von der diesem zugedachten Position aufzugeben, äußerlich zum „Registrator“ erniedrigen. Er übt allein durch die Vorlage der topographischen Materialien ein gut Teil seiner Beratungsfunktion aus. Der General, der dieses Material zu deuten versteht, wird daraus seine Konsequenzen ziehen. Wer dazu nicht das Talent besitzt, wird sich von selbst seines Stabschefs bedienen.

 Massenbachs Argumente vermögen die Generalität nicht umzustimmen. Sie empfinden trotz seiner Beteuerungen die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit, die das orthodoxe, unduldsame System strategisch-topographischer Glaubenssätze, verfochten von einer Bürokratie von Ingenieurgeographen, bewirken würde. Zum Teil ist es ihnen für ihr Verständnis zu kompliziert, zum anderen wesensfremd. Sie halten an ihrer Behauptung fest, daß die Einrichtung eines Generalstabs einen Eingriff in ihre bisherige Kompetenz darstelle und mit ihrer Ehre und Würde nicht verträglich sei.

  

2. Die Ablehnung des im Generalstab liegenden neuen geistigen Prinzips

 

Unter ganz anderen Gesichtspunkten als Rüchel und die übrigen Generale wendet sich der Generalmajor von Zastrow gegen die Verwirklichung von Massenbachs Ideen. Zastrow sieht in der Einrichtung des Generalstabs den Beginn einer gefährlichen Entwicklung. Die Armee würde auf diese Weise mit einer „Pepiniere“ für die Generale versehen, einem Unternehmen, dem gegenüber man die Frage aufwerfen müsse,

 „ob es ein Glück für eine Armee ist, wenn alle ihre Generale mit Feldmarschall-Talenten begabt sind, wo keiner gern dem anderen nachstehen will” [xxiv].

 Mit dem sarkastischen Vergleich des künftigen Generalstabs als „gute Pepiniere“, in der man die Offiziere militärisch aufklärt und sie in die Wissenschaft der höheren Führung einweiht, die bisher als Geheimnis dem König als Staatsmann und Feldherrn sowie einigen obersten militärischen Würdenträgern vorbehalten war, rührt Zastrow an das entscheidende Problem, das die bisher führende Schicht des preußischen Heeres auf das tiefste beunruhigt. Ist es möglich, im Heer den Geist einer akademischen Wissenschaftlichkeit, die nur auf dem Boden der Gleichheit und Freiheit der Meinung gedeihen kann, freie Bahn zu geben, ohne dabei die Grundpfeiler des Heeres, die Autorität und die Subordination, umzustürzen? Diese stellen mehr als nur zweckmäßig bedingte Formen dar, sie sind als Elemente einer gottgewollten Ordnung zu betrachten. Wird diese Ordnung nicht dadurch zerstört werden, daß die rationale und kritische Arbeitsmethode der Wissenschaft Eingang ins Heer findet und man die wissenschaftliche Wahrheit über die mit dem Rang verbundene Autorität setzt? In der Pepiniere des Generalstabs werden in Zukunft verschiedene wissenschaftliche Meinungen gleich berechtigt einander gegenüberstehen. Kann man ein Heer noch zusammenhalten, wenn hier das Gewicht der Meinung die mit der Rangordnung gegebene Hierarchie untergräbt? In der praktischen Auswirkung werden die Generalstabsoffiziere sich auch dazu berufen fühlen, die entscheidende „Operation“ selbst durchzuführen. Sie werden den Ehrgeiz haben,

 „die Ehre des glücklichen Erfolgs jeder Unternehmung mit dem General zu teilen“[xxv].

 Die Mißerfolge dagegen werden sie darauf zurückführen, daß der General sich nicht nach ihren Grundsätzen gerichtet habe. Ist es demgegenüber nicht an der Zeit, sich auf die tiefe Weisheit des Anciennitätsprinzips als Garant einer wohlausgewogenen Ordnung im Heere zu besinnen, anstatt die Offiziere „nach ihren Fähigkeiten avanciren zu lassen?“[xxvi]

 Zastrows Gedanken sind nicht neu. Der Major der Kavallerie von Brenkenhop hatte in seinem Kampf gegen das Eindringen der Aufklärung in das Offizierkorps und den damit verbundenen Versuchen, den Bildungsstand des Offizierkorps zu heben, sich ähnlich geäußert. Er hatte gegenüber dem Drängen der Aufklärung unter dem Beifall der Zunft erklärt, nach wie vor sei das Idealbild eines Heeres jenes, „an dessen Spitze einige denkende Köpfe stehen, bey dem die übrigen blas maschinenmäßig handeln, aber jeder die Pflichten seines Postens gehörig erfüllt«[xxvii]. Glücklich ist für ihn die Armee,

 „bei der ein jeder Untergebener seine Vorgesetzten für Wesen höherer Art hält und unglücklich die, bei der der niedere Offizier, ja wohl der gemeine Mann philosophiert und auf den sehr gegründeten Gedanken kommt, daß wir alle Adamskinder, aus einem Stoff gemacht sind und öfters der Untergebene mehr Verdienste und Einsichten als sein Vorgesetzter besitzt“[xxviii].

 Brenkenhoff, Adjutant des Herzogs von Braunschweig, hatte sich zum Wortführer jener Richtung im Heere gemacht, die Wissenschaft und Bildung für den Offizier als unnötig, ja sogar als schädlich und die bisherige Ordnung zerstörend betrachtete. Die 3. Auflage seines vielgelesenen Büchleins hatte er dem General Rüchel zugeeignet. Brenkenhoffs Werke werden von Zastrow in abgewandelter Form zur Abwehr eines Unternehmens benutzt, mit dessen Durchsetzung man die Zerstörung der bisherigen Ordnung von oben her befürchtete.

 

3. Der Generalstab als Jesuitenorden

 Zastrows Behauptung, Massenbach führe mit seinem Generalstab in die festgefügte Ordnung des preußischen Heeres ein fremdartiges Element in Gestalt einer auf der Grundlage akademischer Freiheit arbeitenden Institution ein, er untergrabe damit den Gehorsam und die Autorität im Heere, traf diesen zutiefst. Gerade Massenbach war es um alles andere zu tun, als zersetzender Kritik und Freigeisterei im Heere die Bahn freizumachen. In seiner Auseinandersetzung mit dem großen Widersacher der bestehenden Heeresordnung, Heinrich von Berenhorst, hatte er in dieser Hinsicht eindeutige Positionen bezogen[xxix]. Massenbach versucht Zastrow mit dem Hinweis auf das Beispiel des Jesuitenordens zu widerlegen und erklärt:

 „Der Generalstab würde in Absicht der Subordination einige Ähnlichkeit mit dem Jesuiter Orden haben, dessen Mitglieder bekanntlich ihren Oberen einen sehr strengen Gehorsam schuldig waren. Ohne diesen Gehorsam kein Heil.«[xxx]

 Der Jesuitenorden, der von Ignaz von Loyola, einem ehemaligen Offizier, geschaffen und als ausgesprochene Kampforganisation das „Fähnlein Christi« genannt wurde, hat für Massenbach den Beweis erbracht, daß man auf der einen Seite durchaus geistig beweglich. und höchst gebildet, auf der anderen bis zur Hörigkeit gehorsam sein kann. Wissenschaft und Bildung brauchen so nicht notwendig ein zersetzendes Element zu sein und eine Zerstörung der bisherigen Ordnung zur Folge zu haben. Sie lassen sich mit der strengen Zucht eines aristokratischen Ordens, der eine geistige Elite zur Erfüllung wichtiger Spezialaufträge darstellt, sehr wohl vereinigen. Die Vorstellung, daß mit dem Eindringen des Geistes der Wissenschaftlichkeit und Bildung in das Heer dessen Verfall beginne, weist nur auf die möglichen negativen Folgen hin. Die positive Seite, durch die Übernahme von Wissenschaft und Bildung in das Heer und die dadurch erreichte geistige Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit in Verbindung mit dem Gehorsam das Heer in seinen Grundfundamenten zu festigen und zu stärken und es dadurch siegreich aus den Anfechtungen der Zeit hervorgehen zu lassen, hat man nach Massenbach bisher weder erkannt noch in Erwägung gezogen. Das soll mit dem neuen Generalstab geschehen.

 Abgesehen davon, ob der Vergleich des Generalstabs mit dem Jesuitenorden glücklich war, um diese Institution der preußischen Generalität näherzubringen, war er für Massenbachs Grundeinstellung sehr bezeichnend. Wie der Jesuitenorden kämpft Massenbachs Generalstab für ein Dogma. Es ist die militärisch topographische Glaubenslehre. Zur Durchsetzung dieses Dogmas will er wissenschaftlich hochgebildete Offiziere in einem straff organisierten Orden zusammenfassen. Der Generalquartiermeisterleutnant (Chef des Stabes), der nach Massenbach als der „ständige Begleiter des kommandierenden Generals“ auftreten soll, ist dann – um im Bild des Jesuitenordens zu bleiben – der Beichtvater und geistliche Berater, der sich zwar demütig und bescheiden im Hintergrund hält, aber von dort die Anerkennung des militärischen Glaubensdogmas überwacht und damit eine ausschlaggebende Rolle spielt.

 Wie der Jesuitenorden hat auch Massenbachs Generalstab eine konterrevolutionäre, gegenreformatorische Tendenz. Sie richtet sich gegen die revolutionäre napoleonische Strategie und Taktik und verficht ihr gegenüber die friderizianische Erbschaft. Daß Massenbach diese nicht wie die Generale in dem Dogma des Exerzierreglements, sondern dem der Topographie und der terrestrischen Kriegskunst sah, ist in diesem Zusammenhang gleichgültig. Die Auseinandersetzung zwischen Zastrow und Massenbach ist im Grunde als ein interner Streit auf dem Boden der alten Welt innerhalb der preußischen Armeeführung zu bewerten. Massenbach versucht, die ungeistigen Generale und den von ihnen abhängigen König, die angesichts der europäischen Krise durch ihre Unzulänglichkeit den Staat ins Verderben zu führen drohen, unter die Diktatur des Generalstabs nach dem Vorbild eines geistlichen Ordens zu bringen, der der wahre Träger der friderizianischen Erbschaft sein und diese in neuer Form als Heilsbotschaft und Ausweg gegenüber dem drohenden Unheil verfechten soll.

 Die Bedeutung der hier verfochtenen Positionen tritt besonders klar hervor, wenn man der Massenbachschen die Scharnhorstsche Auffassung vom Generalstab entgegenhält. Scharnhorst stimmt mit Massenbach in der Forderung nach einem Generalstab als Ersatz für das Genie eines Napoleon und die mangelnden Talente der kommandierenden Generale überein. Scharnhorsts Generalstab ist jedoch alles andere als eine Nachahmung des Jesuitenordens. Er soll nicht für ein militärisches Glaubensdogma kämpfen und diesem zur Durchsetzung verhelfen. Er hat auch keine konterrevolutionäre, gegenreformatorische Tendenz. Er soll im Gegenteil der Träger und Verfechter einer neuen militärisch-wissenschaftlich-revolutionären Geisteshaltung im Heer sein. Die Art und Weise, wie das fehlende Genie praktisch ersetzt werden sollte, war bei Massenbach im Grunde naiv und rein mechanisch gedacht. Vier überdurchschnittlich begabte Offiziere sollten sich zusammensetzen und als der sogenannte „engere Ausschuß“ die Operationspläne für „den großen Krieg« entwerfen. Scharnhorst hält es zwar für verdienstvoll, wenn man eine Plattform schafft, auf der sich überdurchschnittliche Offiziere treffen können, um gemeinsam künftige Operationspläne auszuarbeiten. Was nützen jedoch, so fragt er, die schönsten organisatorischen Formen, wenn die strategischen Grundsätze in ihrer Güte und praktischen Brauchbarkeit höchst anfechtbar sind, wenn auf dem Gebiete der Strategie geradezu abergläubische Vorurteile über die Bedeutung der Topographie und ihre strategischen Punkte herrschen, ihre Regeln zu Zauberformeln und die Kriege damit zum Glücksspiel werden?

 Nicht nach überkommenen Dogmen und Theorien ist die Arbeit des Generalstabs auszurichten. Sie ist vielmehr auf die Anwendung derjenigen strategischen und taktischen Grundsätze abzustellen, nach denen der große Gegner Krieg führt und Schlachten gewinnt. Was sein Genie in genialer Intuition leistet, muß durch eine aufs höchste gesteigerte neue Methode der Forschung eingehend wissenschaftlich von talentierten Köpfen erarbeitet werden. In einer Theorie vom praktischen Handeln sind sodann diejenigen Grundsätze, nach denen das Genie unbewußt verfährt, systematisch und methodisch bewußt zu machen. Dabei muß man sich hüten, daraus wieder ein System abzuleiten und etwa mit Bestimmtheit erklären zu können glauben:

„Dies sind Bonapartes Feldherrnmaximen und so wird er in Zukunft handeln, weil er einmal oder zehnmal vielleicht so gehandelt hat.“[xxxi]

 Ein neues Ausleseprinzip, verbunden mit einer wissenschaftlich vorwärtsweisenden Forschungsmethode, die wirklich neue Erkenntnisse in der höheren Kriegführung zu vermitteln vermag, gibt nach Scharnhorsts Ansicht erst die Möglichkeit, dem Genie Napoleons wirksam begegnen zu können.

 

VI. Die mißglückte Reform des Generalstabs

 Die Diskussion um die Reform des Generalstabs fand in der Instruktion für den Generalquartiermeisterstab vom 26. November 1803 ihren Abschluß[xxxii]. Sie trug dem Gedanken Rechnung, daß nur besonders qualifizierte Offiziere in den Generalstab übernommen werden. Ihre Eignung wird durch Ablegung eines Examens in Form einer mündlichen und schriftlichen Prüfung in „Geometrie, Trigonometrie, Fortifikation, Taktik, Kriegskunst und Kriegsgeschichte“ festgestellt. Diejenigen Offiziere, die durch die höheren Militärschulen der großen Garnisonen gegangen sind, sollen bei der engeren Auswahl bevorzugt werden[xxxiii]. Wer sich im Generalstab nicht bewährt, wird wieder zur Truppe zurückversetzt, andernfalls bleibt er im Korps, jedoch hält man es nicht für tunlich, die Offiziere des Generalstabs zu lange in ihrer Stellung zu belassen. Der König behält sich daher vor, sie „von Zeit zu Zeit in die Armee zu placiren“ (&2). Auch dem Vorschlag, „die Officiere des Generalstabs bey vorkommenden Gelegenheiten zur Führung von Brigaden und Bataillons in der Linie anzustellen“[xxxiv], steht der König sympathisch gegenüber. Aufgabe des Generalstabs soll es sein, die „Fundamentalarbeiten“ zu erledigen, d. h. die Grundsätze zu entwickeln, „auf welchen die Bearbeitung der Operationsplane beruhet“. Daneben hat der Generalstab die laufenden Geschäfte zu versehen, worunter vornehmlich

 „die gründlichste Bearbeitung aller wahrscheinlichen Kriegsfälle, in welche der Staat unter mancherlei Voraussetzungen verwickelt werden kann”,

 zu verstehen ist (&8). Die Art, wie dies zu geschehen hat, ist jedoch die alte. „Die genaue Kenntnis des Landes in militärischer Hinsicht« ist der Ausgangspunkt der Arbeit des Generalstabs. Der Generalguartiermeister gibt den „Operationsplan“ an, die Tätigkeit des Generalquartiermeisterleutnants erschöpft sich in einer Klärung der topographischen Verhältnisse des Kriegstheaters, auf dem der Operationsplan verwirklicht werden soll. Damit diese topographische Aufnahme möglichst lückenlos erfolgt, lösen sich die Generalquartiermeister ab, sowie sie mit dem „ihnen zugetheilten Kriegstheater fertig sein werden“[xxxv]. Der „engere Ausschuß“, der aus dem Generalquartiermeister und seinen drei Generalquartiermeisterleutnants besteht, gilt vor dem König als derjenige Kreis, dessen fachmännisches Urteil als wissenschaftlich stichhaltig betrachtet wird. Er wird als Träger der Wahrheit angesehen. Ausdrücklich wird bestimmt,

 „daß nur dasjenige als wahr angenommen und seiner Königlichen Majestät zur Allerhöchsten Genehmigung vorgelegt werden kann, was in diesem engeren Ausschuß beschlossen worden ist“ (&18).

 Massenbachs Ideen haben hier Pate gestanden.

 Die Umorganisation des Generalstabs bedeutet zweifellos einen Schritt nach vorwärts. Der Ansatzpunkt, um den Generalstab von einem rein technischen Büro zu einer bedeutenderen militärischen Institution zu erheben, ist gegeben. Die neue Instruktion bestimmt immerhin, daß der Generalstab sich auch mit den theoretischen Vorarbeiten für die Aufstellung von Operationsplänen für alle wahrscheinlichen Kriegsfälle zu beschäftigen hat und dem König seine Ansichten darüber vorlegen darf. Dasselbe gilt für die den kommandierenden Generalen zugeteilten Generalstabsoffiziere. Die gesteigerte Bedeutung des Generalstabs kommt auch darin zum Ausdruck, daß „die sämtlichen wirklichen Mitglieder des Generalstabs (an) der Tafel auf dem Schlosse zu Potsdam theilnehmen sollen«[xxxvi]. Sie werden damit in den intimen Kreis des Königs einbezogen.

 Die Instruktion von 1803 ist das Spiegelbild des internen Gegensatzes in der militärischen Führung. Der durch diese Instruktion geschaffene Generalstab ist im ganzen als eine politische und militärische Mißgeburt zu betrachten. Das bisherige schädliche Führungsprinzip bleibt in Geltung. Die alten Praktiker in der oberen Führung, ungeistig, eng, pedantisch und mechanisch eingestellt, behaupten mit Erfolg weiterhin ihren Einfluß auf den König. Typisch dafür ist, daß die Institution des Generaladjutanten, der, wenn der Generalstab überhaupt praktische Bedeutung erhalten sollte, nicht mehr das „Medium“ sein konnte. durch welches dem König „Ideen mitgeteilt wurden“, die entscheidende Fragen der Kriegführung betrafen, aufrechterhalten blieb[xxxvii]. Er hätte wieder auf seine Stellung als eine Art militärischer Zeremonienmeister, der die Paraden in Potsdam inszenierte und die Konduitenlisten führte, beschränkt werden müssen. Die Grundforderung Massenbachs, den Generaladjutanten beim König wie bei dem kommandierenden General auszuschalten und dem Generalquartiermeister als Chef des Generalstabs ständigen Immediatvortrag zu sichern[xxxviii], war nicht erfüllt worden. Mit Bedauern stellt Massenbach fest, daß in der neuen Instruktion für den Generalquartiermeisterstab weiterhin

„der jedesmalige Generaladjutant des Königs die höchst wichtige Rolle fortdauernd spielen konnte, die er bisher zum Nachtheil des Königs und zum Verderben des Staates gespielt hatte“ [xxxix].

 Neben dieser alten Führungsordnung darf der Generalstab ohne entscheidenden Einfluß auf die militärische Führung seinen Platz einnehmen. Er kann auch unbedenklich raisonnieren, solange er die neuralgischen Punkte der Heeresverfassung und der alten Kriegsanschauung nicht antastet und die handwerksmäßigen, überkommenen Aufgaben zur Zufriedenheit der Praktiker erfüllt. In ihm vermag sich der kritische Geist der Pepiniere hemmungslos auszubreiten, hier können die verschiedensten Auffassungen frei zur Geltung kommen. So verwirklicht die alte Generalität den Generalstab gerade in der ihr trotz aller grundsätzlichen Bedenken weniger gefährlich erscheinenden Form einer in akademischer Freiheit schaltenden und waltenden „Pepiniere“, um einem Generalstab in der Gestalt eines „Jesuitenordens“ zu entgehen.

 In der Tat wurde auf drei scharf voneinander getrennten Kriegstheatern nach drei verschiedenen Kriegstheorien geforscht, gelehrt, gesammelt und registriert. Hier kam die schädliche Rivalität einander bekämpfender Schulen zum Zuge, die ihre Anhänger und ihre Schüler in den maßgeblichen Stellen unterzubringen versuchten[xl]. So verfolgte etwa Phull, dem das ostpreußische Kriegstheater unterstand, mit Hohn und Spott die Arbeiten seines Kollegen Massenbach, dem das schlesische Kriegstheater zugewiesen war, und berechnete, daß er bei der Durchführung der Massenbachschen Methode in dem ihm unterstellten kleinsten Kriegstheater 56 Jahre brauchen würde, um die topographischen Vorbedingungen für einen einzigen Feldzug zu schaffen[xli]. Phull selbst, der „das Wort Position nicht einmal hören wollte“[xlii], gründete als Schüler Tempelhoffs seine Pläne und Operationen auf ein mathematisches System von Magazinverpflegungsradien, innerhalb deren sich die Operationen zu bewegen hatten[xliii]. Valentini, der dem Massenbachschen schlesischen Kriegstheater zugeteilt war und das gesamte Treiben genau beobachten konnte, vergleicht die Tätigkeit dieses Generalstabs, wo „ein jeder nach seiner Neigung arbeitet“, mit dem „Bild vom Thurm zu Babel”[xliv].

  Äußerlich hielt den Generalstab in seinem Verhältnis zur Generalität ein formaler Gehorsam zusammen. Ausdrücklich stellt die Instruktion für den Generalstab fest, daß

„die Grundveste des preußischen Militärs vorzüglich auf der strengsten Subordination und auf der pünktlichen Befolgung der Befehle eines jeden Obern beruht“ (&8)

 und verlangt von den Offizieren des Generalstabs, daß sie

 „als ausgezeichnete Männer, die Wichtigkeit davon um so richtiger ein sehen, und anerkennen, mithin diese Pflicht stets gegen ihre Vorgesetzten sowohl im Generalquartiermeisterstabe als in der Armee vor Augen haben und sich auf keine Weise von derselben entfernen werden“.

 Im übrigen appellierte man an das Taktgefühl der Generalstabsoffiziere und sprach die Hoffnung aus, daß sie sich bemühen würden, Achtung und Vertrauen der Generale, denen sie zugestellt seien, zu erwerben, um auf diese Art und Weise Konflikte zwischen ihrer Tätigkeit als Berater und dem Prinzip der Subordination überhaupt nicht aufkommen zu lassen.

 Mit seiner politischen Zielsetzung, die geistige Diktatur des Generalstabs zu begründen und das steuerlose Schiff der preußischen Armeeführung unter sein Kommando zu bringen, war Massenbach gescheitert.



[i] Vgl. S. 130 ff. dieses Buches.

[ii] Görlitz, W., Der deutsche Generalstab, 1951, S. 17.

[iii] In ihrem ersten Abschnitt enthält sie eine Vorschrift, „worauf die Ingenieur-Geographen und Kolonnen-Jäger bei Rekognosziren und bei der Rapport- Erstattung zu sehen haben". Der zweite Abschnitt behandelt dasjenige, was die „Kolonnen-Jäger bei Führung einer Kolonne oder beim Quartiermachen zu beobachten haben“. Eine entsprechende Instruktion befaßt sich mit der Tätigkeit des Generalquartiermeisters und der Quartiermeister-Lieutnants im Felde. Ihre Aufgabe besteht im Abstecken des Lagers für die Armee, im Rekognoszieren von Kolonnenwegen, Führung von Kolonnen auf dem Marsch, ohne vorherige Rekognoszierung, Einführung der Truppen ins Lager, Ingenieuraufgaben, Bau von Verschanzungen, der Leitung des Nachrichten und Spionagewesens u. a. m.

[iv] Massenbach an den General von Geusau, 13. April 1802, Acta, HeeresarchivPotsdam, Nachlaß Massenbach, Heft 38, S. 99.

[v] Massenbach an den Oberst von Köckritz, vom 10. April 1802, ebenda, S.92.

[vi] Massenbach an Köckritz vom 6. Februar 1802.

[vii] Massenbach, Heft 38, S. 7 und 8.

[viii] Scharnhorst, Vergleichung der ehemaligen Geschäftsführung der miltärischen Oberbehörden mit den jetzigen, a. a. O. Gneisenau hat das zu dieser Zeit allgemein übliche Beratungssystem mit folgenden Worten gekennzeichnet:

„Sollte eine strategische Maßregel genommen werden, so mußte man erst die Häupter des Generalstabes versammeln und beratschlagen lassen. Trat hier eine Verschiedenheit der Meinungen ein, so war unter den Dienern Sr. Majestät Niemand vorhanden, der mit Autorität des Ranges und Verstandes zugleich den Ausschlag geben konnte, denn der Herzog von Braunschweig entschied über nichts, und huldigte in der Regel, wenigstens äußerlich, der Meinung des Generaladjutanten. Wenn nun dieser, der eigentlich nicht für die Geschäfte der höheren Armeeführung, sondern nur für die Wahrnehmung der persönlichen Verhältnisse der Armee aufgestellt war, zufällig keine Meinung haben konnte, so blieb die Sache unentschieden und Se. Majestät ohne Rath.“ Gneisenau, Vergleichung der ehemaligen preußischen Armeeverfassung mit der jetzigen, a. a. O.

[ix] Massenbach, ebenda, S. 202.

[x] Massenbach, ebenda, S. 201, 202.

[xi]Kleist an Massenbach vom 14. Mai 1802, ebenda, S. 116.

[xii] Massenbach, ebenda, S. 203.

[xiii] Vgl. hierzu etwa den Briefwechsel zwischen Massenbach, Phull, Geusau, Moellendorff und Kleist, Acta, Heeresarchiv Potsdam, Nachlaß Massenbach, Nr. 38, III.

[xiv] Valentini an Berenhorst vom 31. März 1804, a. a. O., Bd. I, S. 159.

[xv] Massenbach, ebenda, S. 64 ff.

[xvi] Acta, betreffs Gutachten mehrerer Generale über das von Oberst von Massenbach an Seine Majestät eingereichte Projekt betreffs die Neuorganisation des Generalquartiermeisterstabes, Heeresarchiv Potsdam, Altes Kriegsarchiv, Kap. 45, Nr. 58.

[xvii] Ebenda, S. 30.

[xviii] Ebenda, S. 35.

[xix] Ebenda, S. 60, 61.

[xx] Ebenda.

[xxi] Ebenda.

[xxii] Ein Argument, auf das im übrigen Knesebeck dringend jedem dieser Generale die Frage zur Selbstbeantwortung empfahl: „Ist er Friedrich der Große?“ Massenbach, Heft 38, S. 42

[xxiii] Ebenda, S. 135.

[xxiv] Ebenda

[xxv] Vgl. die instruktiven Bemerkungen Zastrows zu Massenbachs Plänen, Heft 38, S. 136.

[xxvi] Zastrow, ebenda, S. 170

[xxvii] Ebenda, S. 136

[xxviii] Brenkenhoff, A. Paradoxa, größtenteils militärischen Inhalts, 1, Auflage 1780, zit. nach 3. Auflage, 1798, S. 27

[xxix] Vgl. Höhn, R. Revolution, Heer, Kriegsbild, a. a. O., S. 215, S. 230ff.

[xxx] Massenbach an Zastrow, 15. August 1802

[xxxi] Knesebeck, Über Bonapartes Feldherrn-Eigenheiten, Acta, Heeresarchiv Potsdam, Nachlaß Knesebeck, Nr. 25.

[xxxii] Acta, betr. die Einrichtung von General-Kommandos des Quartiermeisterstabes und der General-Adjutanten, 1803-1817, Heeresarchiv Potsdam, Altes Kriegsarchiv, Kap. 45, Nr. 70.

[xxxiii] Dazu in der praktischen Durchführung Acta, betr. Beurteilung junger Offiziere für den Generalstab, 1801-1804, Heeresarchiv Potsdam. Altes Kriegsarchiv Kap. 45, Nr. 76, sowie die „Conduitenlisten der Offiziere, welche in Potsdam geprüft worden sind, behufs Vermehrung des Generalquartiermeisterstabes 1805“, Acta, Heeresarchiv Potsdam, Altes Kriegsarchiv, Kap. 45, Nr. 77. Vgl. insbesondere die Beurteilung von Müffling, Valentini, Rühle, Boyen und Schöler.

[xxxiv] Schreiben Friedrich Wilhelms an Geusau vom 1. Februar 1804, ebenda, S. 28.

[xxxv] „Die ostpreußische Brigade soll das südpreußische und schlesische Kriegstheater bereisen, also die Arbeiten der 2. Brigade kennenlernen, sie prüfen, berichtigen, vervolkommnen, so die 2. die Arbeiten der., die 3. Brigade die Arbeiten der beiden ersten“ (&11).

[xxxvi] Schreiben des Königs an Geusau vom 11. Februar 1804, a. a. O., S.29.

[xxxvii] Massenbach, Heft 39, S. 491

[xxxviii] Die interessante Begründung lautet: „In Abwesenheit des Königs hat der Generalquartiermeister diesen unmittelbaren Vortrag beim kommandierenden General. Geschäfte dieser Art leiden keinen Aufschub und die Methode, sie dem König oder dem kommandierenden General durch eine Mittelsperson, welche diese Gegenstände, wegen ihrer übrigen, weitläufigen und dringenden Geschäfte nicht selbst bearbeitet, und deren Leben dem Studio der Generalstabs-Arbeiten nicht ausschließlich gewidmet seyn konnte, vortragen zu lassen, ist dem Gang dieses Geschäfts äußerst nachtheilig, weil nur derjenige, der eine Sache selbst bearbeitet hat, sie mit der gehörigen Deutlichkeit und der zweckmäßigen Stärke des Ausdrucks vortragen kann. – Es muß also eine scharfe Grenzlinie zwischen dem Geschäftskreis des Generalquartiermeisters, besonders im Kriege, gezogen werden. Diese beiden ersten Geschäftsmänner des Königs oder des kommandierenden Generals müssen aber Freunde und Männer seyn, die von jenem edlen Patriotismus beseelt sind, der keinen Egoismus kennt.“ Ebenda, S. 182.

[xxxix] Ebenda, S. 400.

[xl] Vgl. die Prüfungsakten für die Übernahme in den Generalstab aus dem Jahre 1804, Acta, Heeresarchiv Potsdam, Altes Kriegsarchiv, Kap. 45, Nr. 76.

[xli] Valentini an Berenhorst vom 31. März 1804, a. a. O., Bd. 1, S. 159.

[xlii] Valentini an Berenhorst vom 22. April 1808, a. a. O., Bd. 2, S. 131i.

[xliii] Scharnhorst äußert sich später zu Tempelhoffs Annahme, daß man „aus einer willkürlich angenommenen Anzahl von Brot- und Proviant-Wagen alle Bewegungen, welche eine Armee unternehmen könnte“, zu bestimmen vermöchte, folgendermaßen:

„Er dachte sich die Verpflegung als die Centripedal- und die Operation als die Centrifugal-Kraft, wo bei 15 Meilen Halbmesser das Gleichgewicht erfolgte. Über den hübschen Kalkul vergaß man tausend Erfahrungen, welche diesem widersprechen. Diese Krankheit war so epidemisch, daß die gesundesten Körper von ihr ergriffen wurden.“

In „Über die Taktik der Infanterie“ (1811), Acta, Heeresarchiv Potsdam, Nachlaß Scharnhorst B 429.

[xliv] „G. v. Scharnhorst wird sich wohl begnügen, in der Gegend des Brocken – denn weiter dürften ihn die Franzosen wohl nicht lassen – eine Vorlesung zu halten. So arbeitet denn also ein jeder nach seiner Neigung, und wir haben das Bild vom Thurm zu Babel erneuert.“ Valentini an Berenhorst, ebenda

(*) Auszug aus: Reinhard Höhn, Scharnhorsts Vermächtnis, Frankfurt am Main und Bad Harzburg 1952