Studienbanner_kleinStudien von Zeitfragen
35. Jahrgang InternetAusgabe 2001
Jahrbuch 2001
Zeitfragen
Global
Weltfinanz
Weltmacht
Deutschland
Mnemeion
Suche / Archiv
Impressum
Cusanus 2001
Reichsreform
Deutschland 1978
Hessen Vorn
Wilhelmschule
Massenbach I
Massenbach II
Massenbach III
Scharnhorst
Palästina

Massenbach III

 

Historische Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Verfalls des preußischen Staats seit dem Jahre 1794 Teil III

von Christian von Massenbach

Preußen erneut im Krieg gegen Frankreich

 Schon im Anfange des Jahres 1805 sprach man von einer neuen Koalition, welche sich gegen Frankreich bilde. Der russische General Winzingerode befand sich mehrere Monate in Berlin; und der General Zastrow ward, bald nach Winzingerode's Abreise, nach Petersburg gesandt. Es ging das Gerücht, der Minister Hardenberg, welcher in des Grafen Haugwitz Abwesenheit das Portefeuille führte, habe den Kabinetten in London, Stockholm, Petersburg erklärt: den halte Preußen für seinen Feind, der bei Stralsund landen würde. Preußen habe also die Sicherheit des nördlichen Deutschlands übernommen, und Frankreich, auf Preußens Wort, wie auf einen unerschütterlichen Felsen bauend, seine Armee im Hannöverischen vermindert.

 Aus dieser Erklärung mußte man schließen, daß wir in einer festen Verbindung mit Frankreich stünden; aber, jener Erklärung zum Trotz, vermehrte der König von Schweden im Sommer 1805 die Anzahl seiner Truppen in Pommern, und alle zum Truppentransport brauchbare Schiffe, deren Flaggen auf der Ostsee weheten, wurden für ungeheure Frachtgelder gemiethet, und nach Petersburg beordert: eine russische Armee wurde am obern Bug versammelt; die österreichische Armee auf den Kriegsfuß gesetzt. Ich befand mich in Schlesien, als alle diese Nachrichten umherliefen, und sich täglich bestätigten. Ich sah die Ruhe, in welcher wir uns befanden; ich sah auch das Ungewitter, welches sich in dicken Wolken um uns her lagerte; ich konnte meine bangen Ahnungen nicht unterdrücken. Endlich am 8ten September erhielt ich den Befehl, schleunigst nach Berlin zu kommen, und die Weisung, meine Feldequipage in Ordnung zu setzen.

 Die Estaffette traf mich in Sorau in Oberschlesien. Einige Officiere, meine Freunde, waren um mich, als mir die Ordre eingehändigt ward. - »Wir rüsten uns gegen Rußland, meine Herren, weil Rußland unserer Drohungen spottet; - aber wir führen keinen Krieg gegen Rußland. Bei der ersten Gelegenheit schlagen wir uns zur Koalition; und dieses Umschlagen ist die Ursache unsers Unterganges.«

 Ich ward nach meiner Ankunft in Potsdam zum Herzog von Braunschweig gerufen, und erfuhr von ihm, daß ein russisches Korps bei Stralsund landen, und durch das Mecklenburgische nach dem Hannöverischen marschiren wolle. Auch habe der russische Gesandte den Durchmarsch von 95.000 Mann durch Preußen und Schlesien verlangt. »So haben wir also Krieg gegen Rußland! So sind wir also verbunden mit Frankreich! So marschiren wir also mit der ganzen Reserve nach Böhmen, und erobern Josephstadt und Theresienstadt, und geben dadurch dem Staate eine Dauer auf Jahrhunderte,« war meine Gegenrede!

 »Aber, Herr Obrist! bedenken Sie doch die Fortschritte, welche indessen die Russen machen würden,« antwortete der Herzog. Ich. »Wir setzen unsere Festungen an der Weichsel und Oder schnell in den Stand; wir hätten das schon im Sommer thun sollen; wir sahen ja den Krieg kommen; wir lassen in diesen Gegenden eine Observationsarmee, und setzen uns, wie gesagt, indessen in Böhmen fest. - Südpreußen und Ostpreußen müssen wir einstweilen Preis geben; man kann nicht Alles decken; Südpreußen und Ostpreußen bekommen wir im Frieden wieder; wir werfen die Russen mit Hülfe der Franzosen wieder heraus. Die Hauptsache ist die Eroberung der Elbe, von ihrem Ursprung an. Diese Eroberung muß uns Napoleon zusichern. Es bleibt uns nichts Anderes übrig, als Allianz mit Frankreich. So müßte aber heute abgeschlossen werden. Doch diese Allianz giebt sich von selbst. An eben dem Tage, an welchem Golter in Wien ankam, stand die preußische Armee auf schlesischem Grund und Boden! - Statt Golter, Haugwitz; statt Schlesien, Böhmen! Statt Fleury, Talleyrand; statt Ludwig XV., Napoleon!«

 Der Herzog sah indessen auf die Landkarte, und biß sich auf die Lippe, wie das immer seine Gewohnheit war, wenn er sich in Verlegenheit befand. »Düroc ist in Berlin, und man sagt, daß unsere Allianz mit Frankreich im Begriff ist, abgeschlossen zu werden.« »So!« antwortete der Herzog kalt und verdrießlich, und mir war es, als gleitete die Erde unter meinen Füßen weg. Ich ging in die Embrassüre des Fensters und trocknete eine Thräne ab. Der Herzog sah meinen Schmerz. Nach einem beträchtlich langen Stillschweigen sagte er: »Herr Obrist! Ich leite die Politik nicht. Ich weiß nicht, ab wir den frühem Erklärungen wegen des Landens russischer Truppen bei Stralsund werden Nachdruck geben wollen.«

 

 Ich. (Niedergeschlagen) »Diesen Erklärungen werden wir keinen Nachdruck geben?« Der Herzog. (Heftig) »Herr Obrist! Ich leite die Politik nicht. Das Landen können wir den Schweden und Russen nicht verwehren; aber das können wir verwehren, daß sie das Mecklenburgische betreten.« Ich. (Etwas weniges bitter) »Ist der Vogel einmal aus dem Käfig, so hält es schwer, ihn zu fangen.«

  Der Herzog nahm die Bemerkung ungnädig auf, ging im Zimmer auf und ab, und befahl mir, die Marschrouten für die Truppen anzufertigen, welche sich an der Warthe unweit Sieradz versammeln sollten, und nach Breslau voraus zu gehen, um die Zusammenziehung dieser Truppen zu beschleunigen. So ward also meine anfängliche Bestimmung, unter den Befehlen des Grafen Kalkreuth gegen die Schweden und Russen zu dienen, abgeändert, und ich ging nach Schlesien zurück.

  Am folgenden Tage war große Tafel im Marmorpalais. Der König erschien nicht. Da sprach ich den Herzog noch einmal. »Wir stehen auf dem Wendepunkte unserer Größe. Die Russen beleidigen uns durch ihr Drohen. Die französische Allianz, Ew. Durchlaucht!« - Der Herzog drückte mir die Hand. - »Lassen Sie das gut seyn, Herr Obrist! - Wir sehen uns in Sieradz! Rechnen Sie auf meine Freundschaft und auf mein ganzes Vertrauen! - Adieu!« - Ich konnte des Herzogs Betragen von gestern mit dem heutigen nur in so fern vereinigen, in so fern ich annahm, der Barometer der Politik habe sich in diesen 24 Stunden auf die wahre Höhe erhoben. Der Herzog hätte mich nun wieder durch zehn Feuer jagen können. Ich hegte die Hoffnung, Er sei doch dem wahren System getreu. - Wie betrog ich mich!

 Ehe ich Berlin verließ, gelangte es zu meiner Kenntniß, daß der Geheimerath Beyme, der an Lombards Stelle auf einige Zeit das politische Portefeuille übernommen, dem Könige den weisen Vorschlag gemacht habe, Anspach und Baireuth in eben der Art neutral zu erklären, in welcher diese Länder es im Jahre 1796 gewesen wären, nämlich allen kriegführenden Mächten den Durchmarsch zu gestatten. Ich freuete mich über Beymes richtige und große Ansicht; ich habe den Mann nie geliebt, weil er mir ein am Buchstaben klebender Rechtsgelehrter zu seyn schien.

  Dieser sein Vorschlag versöhnte mich mit ihm. - Beyme ist ein scharfsichtigerer Mann, als Hardenberg. Letzterer verwarf Beymes vortreffliche Idee. - Dadurch hat Hardenberg den König und den Staat ins Verderben gestürzt! - Ich liebe Hardenberg, weil er ein guter Mensch ist; aber seine Gemüthlichkeit hat unser Unglück veranlaßt. Einige Wochen später wollte Hardenberg eine Allianz mit Frankreich abschließen. Diese Allianz würde den König und den Staat gerettet haben. »Hier an diesem Tisch, Herr Obrist!« sagte mir Hardenberg in Berlin, in den ersten Tagen des Decembers 1805, »saß ich mit Laforest und Düroc, und wollte die Allianz mit Napoleon verabreden. Aber eben der, der jetzt in Wien auf den Knieen liegt, verhinderte diesen Abschluß!« Wegen der Wahrheit dieser Anekdote berufe ich mich auf Hardenbergs Loyautät. Welch eine Diversität der Meinungen! Welche Sprünge in dem Betragen des Grafen Haugwitz, und welche Charakterlosigkeit in dem Betragen des Barons Hardenberg! - Also, schlechterdings kein System, keine leitende Idee! Und man glaubt, dieser Staat habe gerettet werden können?

 Bei meiner Ankunft in Breslau fand ich, daß in Schlesien noch wenig geschehen war, wenn man, wie man sollte, einen Krieg mit Rußland befürchtete. An die Bewaffnung der schlesischen Festungen war noch nicht gedacht worden, so sehr auch der in Schlesien kommandirende, und im Fall eines Unglücks, alle Verantwortlichkeit tragende Ingenieur-General an diese Bewaffnung erinnerte; und ohne die einsichtsvolle Thätigkeit des Ministers, Grafen Hoym, war es unmöglich, ein Korps d'Armee an der Warthe zu versammeln. Lag es in dem Plane des russischen Kaisers, uns mit bewaffneter Hand die Erlaubniß des Durchmarsches abzuzwingen, (und daß dies seine Absicht gewesen sei, sobald er die Nachricht von unserer mit Frankreich abgeschlossenen Allianz bekommen haben würde, hat Kaiser Alexander in Dresden am 12ten November selbst gesagt); lag also die Offensive in dem Plane des russischen Kaisers, so ist es gewiß, daß die Truppen, welche sich ihm entgegensetzen sollten, wenn er bei Sulejow über die Pilica gegangen, und über Petrikau vorgedrungen wäre, nicht zusammengekommen, sondern einzeln von den Kosaken aufgespießt worden wären.

 Schon damals stand uns Allen ein großes Unglück bevor. Die Mobilmachung der Armee war viel zu spät beschlossen worden. Schlaflose Nächte und kummervolle Stunden verlebte ich in Breslau; und dieser Kummer ward vermehrt, als wir die Nachricht von Bernadotte's Durchbruch durch das Anspachische erfuhren, und den Befehl erhielten, von der Warthe nach der Elbe zu marschiren.

 Da war also meine, in der Nacht vom 8ten zum 9ten September, gemachte Prophezeihung in Sorau, zur Hälfte wenigstens, eingetroffen.

 Kaiser Napoleon, dem wahrscheinlich Beymes Vorschlag, das Anspachische in so fern neutral zu erklären, daß den kriegführenden Mächten der Durchmarsch gestattet werden sollte, bekannt worden war (denn in Berlin wurden alle Geheimnisse nur zu früh die Geheimnisse der Komödie; und wenn ich dieses Geheimniß erfuhr, so mußte es wohl lange schon zur Kenntniß von Laforest und Düroc gelangt seyn), warf uns dadurch selbst in die Arme der Koalition, und wir wähnten, wegen dieser Verletzung unsers Gebietes eine fürchterliche Rache auszuüben, wenn wir den Russen erlaubten, in der ganzen Breite unserer Länder durch dieselben zu ziehen.

 Daß man Beymes weisen Rath nicht befolgte, und den russischen Kaiser veranlaßte, dem Könige einen Besuch in Berlin abzustatten, und unter den Rosen der Freundschaft die Dornen der Politik zu verbergen; in diesen Verhältnissen müssen wir die nähern Veranlassungen unsers Unglücks suchen. Vergebens bat ich den Herzog von Braunschweig in mehrern durch Staffetten von Breslau abgeschickten Schreiben, zu veranlassen, daß den Russen nur der Marsch von Krakau über Pleß nach Troppau erlaubt werden möchte. Vergebens schickte in eben dieser Angelegenheit der Minister Graf von Hoym eine Staffette an den General Grafen von Kalkreuth nach Warschau, der den Marsch der Russen anordnete. Man blieb bei der ersten Idee stehen. Meine Ansicht der Dinge in dieser Periode war: die schlesische Armee müsse so lange in Schlesien verbleiben, bis alle Russen nicht nur über die Oder gegangen, sondern auch auf dem österreichischen Gebiet angekommen wären. Bei einem solchen Verfahren könne man abwarten, wie die Sachen zu stehen kämen; man werde indessen mit der Bewaffnung der schlesischen Festungen fertig werden, bleibe Herr in seinem eigenen Hause, kompromittire sich nicht, und könne doch in jedem Falle den Ausschlag geben; man stehe in der imposanten Stellung eines Vermittlers. Unsern schleunigen Marsch von der Oder nach der Elbe hielt ich also für politisch und strategisch falsch. Wir verließen dadurch die imposante Stellung eines Vermittlers, wurden Partei, und kamen doch viel zu spät da an, wo wir hätten ankommen müssen, wenn wir unsern neuen Alliirten einen wesentlichen Dienst erweisen wollten. Fruchtlos waren alle diese Vorstellungen. Wir erhielten den Befehl, nach Erfurt zu marschiren. Ein böser Genius trieb uns schon damals in diese unglückbringenden Gegenden, in welchen, noch kein volles Jahr spater, ein so schreckliches Schicksal unser Heer treffen sollte.

 In den letzten Tagen des Oktobers ging ich nach Dresden. Schaarenweise begegneten mir die bei Ulm zersprengten Oesterreicher. Nun konnte man, selbst bei verbundenen Augen, deutlich sehen, daß die Operationen des Kaisers Napoleon an der Donau herunter gehen, und wir in der linken Flanke umgangen werden würden.

 Die Vorstellungen: an der Elbe wenigstens müsse man stehen bleiben, wurden wiederholt; mündliche und schriftliche Ordres befahlen die Fortsetzung des Marsches nach Erfurt. Vergebens bemühete ich mich zu beweisen, was schon ohne allen Beweis klar war: da wir jetzt an der Elbe angekommen wären, so müßten wir nicht nach Erfurt, sondern auf dem geraden Weg von Dresden über Hof und Baireuth nach der Donau marschiren. - Auf diesem Wege mangle es an Lebensmitteln, hieß es. - Nun begriff ich die Ursache unseres Seitenmarsches - nach Erfurt!! - Der Gram nagte an meiner Seele! - - - Ein Blinder mußte sehen, daß wir noch immer schwankten.

 Der Kaiser Napoleon, Meister von Tyrol, war indessen über den Inn gegangen; auch in Gemeinschaft mit den Russen, waren die Oesterreicher auf dem rechten Ufer dieses Flusses geschlagen worden; die französische Armee war im schnellsten Vorrücken gegen Wien.

 Zum letztenmal erneuerte ich die Vorstellung: zwischen der Saale und der Elbe müsse man stehen bleiben; die Saale müsse man nicht überschreiten, weil es nicht nur nicht unmöglich, sondern selbst wahrscheinlich sei, daß wir Oesterreich in Böhmen zu Hülfe eilen müßten. Einmal der Koalition beigetreten, müsse man ehrlich und redlich ins Werk setzen, was man versprochen. Keinen Anstand nahm ich, in diesem Briefe die Bemerkung einfließen zu lassen:

 »Die preußische Armee und der ganze preußische Staat besitze keinen einzigen Mann, der fähig wäre, dem Kaiser Napoleon entgegengesetzt zu werden; dieser Monarch übertreffe alle seine Zeitgenossen, die auf Thronen säßen, oder an der Spitze der Armee stünden, an Kriegstalent und Genie.«

  Daß diese Bemerkung nicht gut aufgenommen werden würde, wußte ich: sie trug das Gepräge der Wahrheit.

 Entweder müsse man an der Elbe stehen bleiben, und alle Anstalten treffen, um den Oesterreichern in Böhmen zu Hülfe eilen zu können, oder man müsse den Marsch nach der Donau, oder nach dem Rhein, mit unaufhaltsamer Geschwindigkeit fortsetzen. Auf meine Vorstellungen wurde nicht geachtet; die Armee setzte den Marsch nach Erfurt fort, ging über die Defileen der Saale, und traf am 9ten December in der Gegend von Erfurt ein. Ich bemerke hier, daß sie erst am 15ten da ankommen sollte. Ungeachtet meiner Ueberzeugung von der Zweckwidrigkeit dieser Bewegung, waren die Märsche der schlesischen Truppen in einem so hohen Grade beschleunigt worden, daß sie in der Gegend von Erfurt sechs Tage früher eintrafen, als sie, nach den Bestimmungen des Herzogs, eintreffen sollten.

  Bald bestätigte sich nun die Nachricht von der Eroberung Tyrols, und von dem Uebergange Napoleons über die Donau bei Wien. Kein anderes Mittel, das mußte man sich selbst und Andern sagen, und es ist gesagt worden, kein anderes Mittel unserer Rettung aus der großen Gefahr, in welcher wir schwebten, scheine übrig zu seyn, als die zweite Armee der Russen zu veranlassen, schnell an die Neiße oder Oppa vorzurücken, indessen die erste russische Armee, an deren Spitze sich Kaiser Alexander selbst befand, und die Ueberbleibsel der österreichischen deutschen Armee sich entweder unter die Kanonen von Ollmütz, oder auf das linke Ufer der Morawa, oder noch weiter zurückzögen, und eine Schlacht vermieden; die preußische Armee aber müsse so schnell wie möglich nach dem Rhein eilen, diesen Fluß unterhalb Maynz überschreiten, und eine Invasion in Frankreich machen. Herzog Ferdinands Betragen im Jahr 1758 müßten wir nachahmen; als Friedrich gegen die Morawa vorrücken wollen, sei Ferdinand über den Rhein gegangen, und habe bei Crefeld gesiegt.

 Das Lob des Oheims erfreute nicht das Herz des Neffen. Zwei Briefe sendete ich am 17ten November von Erfurt aus an den Herzog. Der Herzog zeigte den Empfang dieser Briefe in seinem Schreiben vom 25sten November an. Er hatte sie also gelesen; Er hatte auch den Brief gelesen, welchen ich zu gleicher Zeit an seinen Generalquartiermeister geschrieben habe, und welcher ähnlichen Inhalts war. Auf den Inhalt dieser Briefe antwortete der Herzog nicht; Er will nichts von dem Operationsplane hören, den ich vorschlage; Er hält ihn nicht einmal einer Bemerkung würdig. Aber er spricht von Frankreichs verderblichen Absichten; er giebt die Stärke der Armee an, die wir an dem Tage einer Schlacht, in zwei Treffen, jedes zu zwanzig Bataillons, mit einer aus vierunddreißig Bataillons und hundert Eskadrons bestehenden Reserve, gegen den Feind des deutschen Namens aufmarschiren lassen können, und schließt mit dem Wunsche: wie Nelson heim zu gehen. - Man sieht aus dieser Aeußerung, daß der Herzog schon zu dieser Zeit (November 1805) die Absicht hatte, sich bei der ersten Gelegenheit todt schießen zu lassen. Er hat diese Absicht oft geäußert; Er fühlte, daß seine Kraft dahin war.

 Eine fürchterliche Angst überfiel mich zu Erfurt in der Nacht vom 27sten zum 28sten November. Es war mir, als wenn all mein Blut in Gluth gerathen wäre. Das Bild, das man uns in Dresden von der Lebhaftigkeit des russischen Kaisers, von der Flatterhaftigkeit seiner Umgebungen, von der Leichtigkeit gemacht hatte, mit welcher der Kaiser Armeen vom Wolgastrom nach der Yssel, und von der Yssel nach der Donau marschiren ließ; ferner, die aus Berlin schon früher von einem breitstirnig diplomatischen Residenzen ertheilte Nachricht; Se. Majestät der Kaiser aller Reußen wolle die nächste Bataille Höchstselbst kommandiren: jenes Bild und diese Nachricht hatten sich meiner Einbildungskraft gewaltig bemächtigt; ich konnte nicht ruhen und rasten; da schrieb ich vor und nach Mitternacht zwei Briefe, die meinen Nachkommen ein Dokument seyn werden, von den bangen Ahnungen, die meine Seele bestürmten, und von einer treuen Anhänglichkeit an König und Staat.

 Vergebens hatte ich die Ansicht hingestellt: Man »könne, nachdem Kaiser Napoleon Meister von Tyrol geworden, nicht mehr auf seine nahe Kommunikation wirken, sondern ihn nur durch eine entfernte Diversion nöthigen, über die Donau und den Inn zurückzugehen. Seine Lage erfordere, daß er eine Schlacht in Mähren gewinne. Die Oesterreicher und Russen müßten also diese Schlacht vermeiden, und da wir am 4ten November durch einen förmlichen Traktat, wie man es allgemein sage, der Koalition beigetreten wären, so bliebe uns nichts anders übrig, als eine Invasion jenseits des Rheins zu unternehmen.«

 Noch heute bin ich überzeugt, daß dies das einzige Mittel war, nach dem bei Ulm sich ereigneten Unglücke dem Kriege eine bessere Wendung zu geben; aber die Idee einer solchen oder einer ähnlichen Operation mußte dem russischen Kaiser mitgetheilt, seine Hitze mußte gemäßigt, begreiflich mußte es ihm und seinen Umgebungen gemacht werden, daß, da er es selbst war, der unsern Marsch nach Osten verursacht hatte, die Schuld nicht an uns lag, wenn wir nicht früher im Westen ankommen konnten.

 Es war keine Einheit in unsern Operationen, und deßwegen mußten wir untergehen; ich war davon auf das lebhafteste überzeugt. Einsam, in mich gekehrt, saß ich in meinem Zimmer zu Erfurt. Einen kummervollen Blick warf ich in die trübe Zukunft! Plötzlich ging die Thüre auf: ein königlicher Feldjäger brachte mir am 30sten November den Befehl, schnell nach Potsdam zu kommen. Am 2ten Decemher traf ich in dieser Stadt, ein; am folgenden Morgen versammelte man sich beim Herzoge von Braunschweig; eine militärische Konferenz fand Statt. In dieser Konferenz wurde vorgeschlagen, daß die Armee unter den Befehlen des Fürsten zu Hohenlohe über die Saale zurückgehen, und in der Gegend von Gera Kantonnirungsquartiere beziehen solle; die Avantgarde, unter dem Prinzen Louis Ferdinand, sollte bis Zwickau vorgeschoben werden. Alle Mitglieder dieser Konferenz wurden am Abend dieses Tages zum Könige gerufen. Eines der vornehmsten dieser Mitglieder fand sich da nicht ein. Das fiel mir auf, diese Stunde wird mir unvergeßlich seyn. -

 Sie war eine der unglücklichsten meines Lebens! - Ich habe unschuldig gelitten! Wir wurden zur königlichen Abendtafel gezogen; ich begleitete den Herzog in seine Zimmer. - Eine neue unvergeßliche Scene............

 Das Gemüth des Herzogs war zerknirscht. Jetzt sah ich deutlich, daß dem russischen Kaiser keine, auf das Ganze Bezug habende Ideen mitgetheilt worden; und dieser Selbstherrscher, weit entfernt, sich von unsern Ideen leiten zu lassen, das Ganze selbst leiten wollte, endlich daß wir, von einer falschen Politik geleitet, dem Unglücklichen glichen, der von einem Dämon in die Höhe gehoben, schwebend in der Luft gehalten und zerdrückt wird. - Der Traktat vom 4ten November schloß uns nicht fest an Rußland an; und unsere nur politisch, nicht strategisch drohenden Stellungen in Sachsen und in Westphalen mußten zwischen Preußen und Frankreich eine Spaltung hervorbringen, die unserm Interesse nicht anders als nachtheilig werden konnte. - In dieser nächtlichen Unterredung ließ mir der Herzog endlich Gerechtigkeit widerfahren. - »Sie haben richtig gesehen, dies sind seine Worte; ich wiederhole, was ich Ihnen einst geschrieben habe; Ihrem Blicke, dem moralischen sowohl als dem physischen, entgeht nicht leicht etwas, was zum Zwecke führt. - Sie waren Forstenburgs Freund. Ich habe diesen Menschen geliebt. - Jetzt treten Sie an seine Stelle. Ich ehre Ihre Aufrichtigkeit und Ihre Anhänglichkeit. Rechnen Sie auf mein ganzes Vertrauen; wir werden uns nie wieder entzweien!«

 Da umarmte mich der Herzog; und nie habe ich eine heißere Thräne geweint. Er entließ mich gegen Mitternacht. - Der Herzog war wieder, wie einst bei Valmy und bei Stromberg, der Held meines Herzens und meines Kopfes. - Ich war entschädigt für die Leiden dieses Tages. - »Schreiben Sie mir, sagen Sie mir Alles, was Sie denken;« das waren die letzten Worte des Herzogs in dieser mir merkwürdigen Nacht. »Ich werde treulich Wort halten,«  - meine letzten......

  Mit Aengstlichkeit erwarteten Freunde meine Zurückkunft. Von den Scenen dieses Abends und dieser Nacht tief erschüttert, trat ich in ihren Kreis.

 Schon am 6ten December erhielt man in Berlin die erste Nachricht von der Schlacht bei Austerlitz, die betäubende Nachricht von der Abreise des russischen Kaisers, und von dem Rückmarsch seiner bei Austerlitz geschlagenen Armee, die noch betäubendere von dem zwischen Frankreich und Oesterreich abgeschlossenen Waffenstillstand. Trösten wollte man uns dadurch, daß die Korps unter Tolstoy und Bennigsen der Disposition unseres Königs überlassen seyn sollten. - Russische Generale sollten einem fremden Könige gehorchen! Man weiß, wie sie ihrem eigenen Kaiser gehorchen!! Und Bennigsen....! l! Sie, diese russischen Generale, voll Stolz und Anmaßung, sollten sich von preußischen Generalen leiten lassen!! Wer würde diese innere Gährungen beruhigt, wer in diese chaotische Verwirrungen Ordnung gebracht haben? - In dieser Koalition mußten wir untergehen! - Die Armee, unter den Befehlen des Generals Bennigsen, konnte, nach einer schriftlichen Aeußerung des Herzogs von Braunschweig, erst Ende December, vielleicht erst im Januar, an den Ufern der Oder ankommen.

 Wirft man einen ruhigen Blick auf die Verhandlungen jener Zeit, so überzeugt man sich, daß von diesem Augenblick an, eine unglückschwangere Wolke über dem Könige und dem Staate geschwebt habe. Die Drohungen Rußlands setzten den König in die Nothwendigkeit, seine west- und ostpreußische Armee auf dem rechten Ufer der Weichsel, seine schlesische Armee an der Warthe zu versammeln, also sich östlich zu wenden; mit dem größten Theil seines Heeres links abzumarschiren; - der weise Rath, ein von dem Staatskörper getrenntes, keiner Vertheidigung fähiges Land, den Durchmärschen beider Parteien offen zu lassen, wird nicht befolgt. Mit kriegerischem Ungestüm bricht ein talentvoller Feldherr Napoleons, keine Verantwortlichkeit fürchtend, weil im Kriege der Zweck alle Mittel heiligt, durch dieses Land, das Hardenbergs Gemüthlichkeit vor Durchmärschen retten will.

 Der Monarch, dessen Armeen, trotz der in Memel beschworenen Freundschaft, jetzt drohend an dem Niemen, an der Weichsel und an der Pilica stehen; trifft plötzlich und unerwartet in der Hauptstadt des Königs ein, nicht, wie ehemals, Gustav Adolph mit dem Schwerdte umgürtet, und an der Spitze eines Heeres! Alexander hat selbst jede drohende Falte in seinem schönen Gesicht geebnet! Er mißbilligt die harten Worte seines Gesandten; eine überirdische Freundlichkeit ist über sein ganzes Wesen ausgegossen; in seinen Augen strahlen die Empfindungen des Freundes; seine Lippen schwören unverbrüchliche Treue. Catharinens Enkel, ausgerüstet mit den Talenten, wenn nicht eines vollendeten, doch eines glücklichen Staatsmannes, weiß Preußen, gegen sein heiligstes Interesse, in das Interesse der Koalition zu ziehen.

 Der Traktat von Potsdam wird unterzeichnet, und mit ihm - der Untergang des Staats. Persönlicher Haß genehmigte, was die Weisheit hätte verwerfen müssen. Diese Scene der selbstsüchtigen Politik endigt sich mit einer Scene der Gemüthlichkeit. Alexander wallfahrtet an die Grabstätte Friedrichs des Großen. - Warum, o Geist Friedrichs, konntest du nicht herabschweben aus den Gefilden der Unsterblichen, und erhellen, durch einen Strahl des Lichts, die Finsterniß, die uns umhüllte, und vernichten den trugvollen Zauber, der uns umstrickte? - Geist Friedrichs! waren wir deiner Sorgen, deiner Bekümmernisse nicht mehr würdig?

 Friedrich stiftete die Verbindung, welche Alexandern das Leben gab; und Alexander gab Friedrichs Schöpfungen den Tod! O Verhängniß der Menschen und Staaten!

 Alexander eilt jetzt an die Spitze seines Heeres. Zwar kommen ihm schon an den Ufern der Elbe Eilboten entgegen, mit der Nachricht von der Niederlage seiner ersten Korps, und von Napoleons kühnem Vordringen. Aber, glücklicher als Peter I. bei Narwa, wähnt Alexander zu seyn. Voll Hoffnung, die Göttin des Glücks, diese Freundin der Jugend und Schönheit, werde Ihm auch auf den Gefilden des Todes, wie in den Prunkzimmern des Vergnügens, Lorbeerkränze flechten, wird Er von jugendlichem Muthe hingerissen, eine Schlacht zu liefern, gegen die vollendete Erfahrung. Die Schlacht geht verloren. Alexander, für seine persönliche Sicherheit besorgt, giebt seine Zustimmung zu einem Waffenstillstande, der seine große Armee an die Ufer des Bugs zurückschleudert, und seinen neuen Bundesgenossen, den König von Preußen, außer Stand setzt, die Bedingungen des Traktats zu erfüllen, zu dessen Unterzeichnung nur persönliche Freundschaft den König vermocht hatte.

 Zur Schadloshaltung erhält der König den Oberbefehl über zwei russische Korps, davon sich das eine langsam von der Weichsel nach der Oder bewegt, und wovon das andere im westlichen Deutschland mit Engländern und Schweden vermischt steht. Der König von Schweden verlangt den Oberbefehl, und kein General will ihm gehorchen. Der freie Engländer schreibt Briefe im Tone der Parlamentsreden; und nie ist eine militärische Polyarchie vollendeter gewesen, als die an den Ufern der Weser in den Monaten December (1805) und Januar (1806). Indessen sich Preußen und Hessen, Engländer und Russen und Schweden im westlichen Deutschlande nicht vereinigen können, über das, was geschehen soll; indem man also hier die kostbarste Zeit, in welcher eine Diversion nach dem Rhein und nach der Yssel hätte unternommen werden können, vergeudet, ist uns im östlichen Deutschland, durch den nach der Schlacht bei Austerlitz abgeschlossenen Waffenstillstand, der Arm gelähmt! Wir können, wir sollen, wir dürfen nicht nach Böhmen eindringen; wir sollen Oesterreich nicht zu Hülfe eilen!!!

 Nach diesem zwischen Frankreich und Oesterreich abgeschlossenen Waffenstillstande, auf welchen, aller Wahrscheinlichkeit nach, der Friede bald folgen mußte, ist es schwer, die Frage zu entscheiden: wozu der König von Preußen diese russischen Truppen hätte gebrauchen sollen?

 Männer, welche gewohnt sind, die Beschlüsse der Monarchen, lange nach dem Erfolge und mit Leidenschaftlichkeit zu beurtheilen, diese Männer verlangen, daß der König, trotz der Schlacht bei Austerlitz, trotz der Abreise des russischen Kaisers, trotz des nahen Friedens zwischen Frankreich und Oesterreich, den Krieg gegen Frankreich hätte beginnen, seine Hülfe Oesterreich aufdringen sollen.

 Es ist darauf nur Eine Antwort: Geht ein solcher Gedanke aus der Seele eines Monarchen selbst hervor, entwickelt er sich mit Kraft, und kann er mit Beharrlichkeit ausgeführt werden; so können große Resultate entstehen. Mitteilen läßt sich ein solcher Gedanke nicht.

 Rathen konnte Niemand zu einem solchen Wagestücke; und daß der Herzog von Braunschweig im December 1805 zu diesem Wagestücke nicht gerathen hat, kann diesem Fürsten nicht verargt werden.

 Als Cäsar über den Rubicon schritt, frug Er Niemanden um Rath. Aus seiner eigenen Brust ging der Gedanke hervor. Wer einen Rath gibt, muß auch unumschränkter Herr seyn über die Mittel, die zur Ausführung des Rathes erfordert werden.

 Der Krieg erheischt eine fortdauernde Schöpfung großer genialischer Entwürfe. Einem zum Kriege rathen, heißt also: einem den Rath ertheilen, beständig in sich selbst große Ideen zu erzeugen. Ist es mit dem Rathe ausgerichtet?

 Daß in der Folge ein noch weit größeres Wagestück unternommen wurde, wirft meine Behauptung nicht über den Haufen. Wer zu diesem Wagestück gerathen, oder vielmehr, wer die Verhältnisse Preußens und Frankreichs seit dem Monat December 1805 so geleitet hat, daß zu diesem Wagestück gerathen werden mußte, mag es bei der Nachwelt verantworten. - Daß wir im Jahr 1805 denjenigen für unsern Feind erklärten, der bei Stralsund landen, und diese Landung durch anderweitige Operationen unterstützen würde; daß wir aber diesen, unter der Maske der Freundschaft verborgenen Feind, nachdem er bei Stralsund gelandet, nachdem er diese Landung durch eine bis Pulaw an der Weichsel vorgerückte Armee unterstützte, nicht als wirklichen Feind behandelten; daß wir das Anspachische, nach dem Sinne des Geheimeraths Beyme, nicht neutral erklärten: in diesem Betragen müssen wir die Quellen des Unglücks aufsuchen, dessen eiserner Arm uns getroffen hat, noch trifft, und uns zermalmt!

 * * *

 Der Minister Haugwitz war bereits Anfangs November 1805 nach dem französischen Hauptquartier abgereist, und man erwartete den Erfolg seiner Negociationen mit Aengstlichkeit. Dieser Staatsminister kam in den letzten Tagen des Monats December aus Wien zurück, und brachte beides, den Frieden und den Krieg. In dem Resultate seiner Unterhandlungen lag der Oelzweig des Friedens und die nur eines Funkens bedürfende Fackel des Kriegs. Der Graf von Haugwitz brachte nämlich den Frieden, ich sage nicht den, nach dem Ausspruch der schönen und zarten Gemüthlichkeit ehrenvollen, aber den, nach dem Ausspruch der Vernunft und des Verstandes, für Preußens Interesse ersprießlichen, also wahrhaft ehrenvollen, also wahrhaft glorreichen Frieden, wenn wir sogleich die vom großen Staatskörper abgesondert liegenden Länder, Anspach und Cleve, abtraten; wenn wir sogleich Hannover in ewigen Besitz nahmen; wenn wir sogleich ein Of- und Defensivbündniß mit Napoleon schlossen, und mit ihm, dem gewaltigen Manne des Continents, dem Feinde des Continents ewigen Haß schworen; und dafür bekamen wir einen großen Theil des an das Baireuthische sich anschließenden Bambergischen und ganz Hannover. Wir behielten unser Uebergewicht in Franken, und wurden unumschränkte Herren der Elbe, wie wir unumschränkte Herren der Oder und Weichsel waren. Welche immense Vortheile!

 Wir waren wieder, was wir immer seyn mußten, ein erobernder Staat. Wir konnten nur in Verbindung mit Frankreich erobern; wir konnten uns also nur in Verbindung mit Frankreich erhalten! - Wer kann diese Wahrheiten läugnen? - Sie mußten der Polarstern unserer Politik seit dem Jahre 1797 seyn; so wie sie es im Jahr 1740 gewesen sind. Verloren wir diesen Polarstern aus dem Auge, so litten wir Schiffbruch.

 Auch in diesem hochwichtigen Momente habe ich mich freimüthig gegen den Herzog von Braunschweig erklären dürfen. - Der Herzog. »Sie besitzen wieder mein Vertrauen; - also sage ich Ihnen: man gibt uns statt Anspach sein Aequivalent, das an das Baireuthische grenzt, und.....« (mit jenem sprechenden, funkelnden, das Weiße im Auge zeigenden Blick, der dem Herzog so eigen war) »..... Hannover.« - Ich verstand den Blick und antwortete: »Ew. Durchlaucht Haus hat Ansprüche an dieses Land; - aber Hannover ist einmal für das Braunschweigische Haus verloren. Im Jahr 1801 war es, wie Ew. Durchlaucht sich erinnern, meine Ansicht: wir mußten uns Hannover nicht zueignen; dieses Land mußte einem apanagirten Prinzen des Braunschweig-englischen Hauses gegeben werden. Jetzt kann Hannover, selbst unter dieser Bedingung, nicht mehr gerettet werden. - Ich glaube, der König könnte und müßte Ew. Durchlaucht Haus entschädigen. Diese Entschädigung ließe sich auch leicht ausgleichen.....«

 Der Herzog. »O! ich mache gar keine Ansprüche..... «

 Ich. »Der König mußte diese Entschädigung selbst anbieten,.... ich bin überzeugt, daß sie der König anbieten wird. Es lassen sich mancherlei Abrundungen denken.«....

 Der Herzog. »Sie sehen wohl, daß die Sache sehr delikat für mich ist; und ich habe das Zutrauen zu Ihnen, daß Sie von dieser Unterredung gegen Niemanden das geringste äußern.«

 Ich. »Ich betrachte die ganze Sache in Hinsicht unserer großen Verbindung mit Frankreich, und ich kann einmal keine andere Ansicht gewinnen, als die: daß wir in eine Waagschale legen müssen, Preußens und Frankreichs Schicksal. Wir müssen unsern Mangel an großen Hülfsmitteln mit Napoleons Ueberfluß ersetzen. - Wir sind nun gegen Westen arrondirt; Napoleon helfe uns auch noch zu einem guten Arrondissement im Süden und Osten.« - Der Herzog. (Ziemlich kalt) »Ich weiß nicht, was man thun wird..... Wie soll dieses Arrondissement gemacht werden?«

  Ich. »Durch eine einzige Idee!«

 Der Herzog. »Und diese ist?«...

 Ich. »Napoleon muß Krieg gegen Rußland führen, wir sind mit ihm alliirt; wir erklären uns zum König von Polen. Diese Krone haben wir in unsern Händen. Alle Polen strömen uns zu. Diese einzige Handlung kostet Rußland Millionen; sie entreißt ihm und Oesterreich alle polnische Acquisitionen.«

  Der Herzog. (Ueber und über roth werdend, und mit funkelndem Auge) »Sie sind geboren, Napoleons Plane zu unterstützen. - Lassen Sie davon hier nichts ruchbar werden. Dadurch machen Sie Ihr Glück nicht, Herr Obrist.«

 Ich. »Aber diese Idee giebt der Welt eine andere Gestalt; sie befestigt die Dauer des Staates; sie steht in unmittelbarer Verbindung mit Haugwitzens glücklichen Negociationen. Diese Idee muß, sollte ich glauben, jeden in Anspruch nehmen, der es gut mit Preußen, gut mit der Welt, gut mit sich selbst meint. Ew. Durchlaucht haben mir so oft selbst gesagt, daß Sie, als Herzog von Braunschweig, mit Preußen stehen und fallen. - Preußen steht, wenn es mit Frankreich verbunden ist; Preußen fällt, wenn dieses Bündniß nicht Statt findet. - Napoleon ehre ich als Staatschef; - ich diene dem Könige, indem ich Napoleon beehre. - Ich betrachte die Lage der Welt, Ew. Durchaucht! und deßwegen habe ich vielleicht in dieser Sache wenigere Vorurtheile als..... die Berliner. Wir können keinen Krieg gegen Napoleon führen. Ich habe Ew. Durchlaucht diese meine Meinung schriftlich gesagt; auch dem Minister Hardenberg habe ich freimüthig gestanden, daß alle unsere Armeeeinrichtungen nichts taugen, und daß wir seit acht oder neun Jahren strategische Versäumnisse begangen haben, die uns ins Verderben stürzen. Wir müssen uns mit Napoleon fest verbinden. Weil ich den König und den Staat liebe, und die Polen kenne: - deßwegen bin ich auf diese Idee gekommen.«

  Der Herzog. »Man ist aber einmal hier nicht für dergleichen Ideen.... Sie kennen ja das alles besser, als ich. Haben Sie diese Idee noch Jemandem mitgetheilt?«

 Ich. »Nein! Ich war gestern Abend beim Grafen Haugwitz; ich wollte ihn nach und nach auf diese Idee führen; ich sprach von unserm Arrondissement in der Gegend von Warschau; ich legte eine Landkarte auf den Tisch. Der Minister gab ausweichende Antworten, sprach von Napoleons Mobilität; ich rollte meine Karte wieder zusammen, und nahm mir vor, zu hören, wie Ew. Durchlaucht diese Idee aufnehmen würden.«

 Der Herzog. »Oh! Ich finde sie ganz vortrefflich! Aber, über dergleichen Sachen werde ich nicht zu Rathe gezogen! - Von des Grafen Haugwitz Ideen, in Absicht auf Hannover, bin ich jetzig erst unterrichtet worden.«

 Ich. »Ew. Durchlaucht! ich gebe meinen Kopf zum Pfande: mit dieser Idee, das Bambergische gegen Anspach zu vertauschen, und Hannover zu kapern, ist Haugwitz nicht abgereist. Die Umstände haben die Sache herbeigeführt. Ein solcher großer Entwurf lag nicht in Haugwitzens Seele! Läg er darin, so würde Haugwitz jetzt von selbst weiter gehen. Er denkt nicht an Deutschland, und nicht an Polen. Ich beschwöre Ew. Durchlaucht, die Lage der Welt aus dem Gesichtspunkte des preußischen Connetables, nicht aus dem Gesichtspunkte des Herzogs von Braunschweig zu betrachten; ich beschwöre Ew. Durchlaucht, diese Idee eines Königs von Preußen-Polen Ihrer ernstlichen Prüfung zu unterwerfen. Diese Idee erhebt Preußen auf die Höhe, auf welcher Preußen stehen muß.«

 Der Herzog. »Napoleon will uns nicht vergrößern. »

 Ich. »Er hat es aber gethanl«

 Der Herzog. »Aber bedenken Sie doch: König vom ehemaligen Polen! Welcher Zuwachs an Macht! - Das will Napoleon nicht!« -

 Ich. »Trotz dieses Zuwachses an Macht im Orient, bleiben wir von Napoleon abhängig, eben weil er uns in Franken und an der Weser vergrößert hat. - Diese Vergrößerungen im Westen sind die Unterpfänder unserer Treue.«

 Der Herzog. »Sie haben vorhin das Wort: abhängig ausgesprochen; - also - Unterpfänder unserer Abhängigkeit.«.

 Ich. »Das Wort: abhängig nehme ich nicht zurück. Wäre ich König, lieber von der Seine, als von der Newa, wollte ich abhängig seyn.« -

 Die Unterredung drehete sich noch einige Zeit um diesen Pivot herum; ich werde sie einst vollständig bekannt machen; hier nur so viel, als zu meinem Zweck gehört. Endlich sagte der Herzog:
»Sie sehen, wie man hier an Rußland hängt. - Sie dringen mit Ihren Ideen nicht durch, und machen Ihr Unglück; mich kompromittiren Sie, wenn Sie diese Unterredungen mittheilen. - Ueberhaupt, Herr Obrist! Sie sind für eine...
....
....

Ich. »Ew. Durchlaucht danke ich unterthänigst für das schmeichelhafte Kompliment. Wenn Ew. Durchlaucht diese Ideen nicht genehmigen, so werden sie von Niemandem genehmigt werden. - Wollen wir denn nicht das Pivot des Gleichgewichtssystems der europäischen Welt seyn? - Wollen wir nicht der Hort der Völker werden? Wollen wir, anstatt das Ideal eines gesellschaftlichen Zustandes, den gewissen Untergang wählen? - Ew. Durchlaucht verzeihen diese Fragen. Sie haben ihren Ursprung in dem Gemüthe eines Mannes, der seinen König retten will; ich kann einmal Napoleon nicht hassen, weil ich ihn als Werkzeug der Vorsehung betrachte, vermittelst dessen ein vollkommnerer gesellschaftlicher Zustand herbeigeführt werden soll.« -

  Der Herzog. »Diese Hoffnung haben Sie?« - Ich. »Ja, Ew. Durchlaucht! - Diese Hoffnung habe ich. Aber, wir müssen das Unsrige dazu beitragen; wir müssen in Napoleons Ideen eingehen.«

 Der Herzog. »Herr Obrist! das geschieht nicht.« Ich. »So möchte ich mich der Verzweiflung hingeben! Soll ich (im Tone der Verzweiflung und mit ringenden Händen), soll ich denn der Welt nichts nützen? Soll ich denn im Kreislauf der Gewohnheiten untergehen? - Hätte ich doch keine Geschichte studirt! Wie ein Maulwurf
...
...
Ich halte dies Leben nicht mehr aus, Ew. Durchlaucht! Ich möchte, daß ich aus der Welt heraus könnte«

 - - Der Herzog. (In einem wahrhaft väterlichen Ton) »Beruhigen Sie sich, Massenbach! Sie können die Welt nicht anders machen! - Bedenken Sie Ihre Verhältnisse! Sie sind Vater von fünf Kindern!
- - Ich. »Ach! hätte ich ihnen doch das Leben nicht gegeben! Sie werden unglücklich werden, wie ich es bin, wenn sie einst in der Idee, und nicht in der Gewohnheit leben. - Ich beschwöre Ew. Durchlaucht: diese Idee eines Königs von Preußen-Polen nicht von sich zu stoßen! Sie werden der Wohlthäter Preußens, und der Wohlthäter der Welt. Ew. Durchlaucht erinnern sich, wie die Treue der Südpreußen vor wenigen Monaten wankte! - Der König setze sich die Krone Polens auf das Haupt, und alle Polen sind seine treuen Unterthanen. Ew. Durchlaucht! Das herrliche Arrondissement in Franken; das große neue Machtgebiet an der Weser! und - König von Polen! - Eine innige Föderation mit den beiden Herzogen von Mecklenburg, mit Ew. Durchlaucht selbst, mit Hessen und mit Sachsen! - Auf welche Höhe steigt Preußen empor! Können Ew. Durchlaucht diese Angesicht der Dinge verkennen? - Es ist nicht möglich, daß Sie solche verkennen können. - Ich kann diesen Ideen nicht entsagen; - ich möchte lieber meinem Leben entsagen! Welch ein hoher Grad von Wohlfarth könnte in diesem großen Föderativstaate Statt finden! Wie könnte der gesellschaftliche Zustand von der Weser bis zur Memel verbessert werden! Tief überdachte Finanzeinrichtungen und eine, nach einer Idee geleitete Nationalerziehung würden alle diese Nationen zu einer Nation umbilden!«

 Der Herzog. »Aber, Herr Obrist! wer
...
...
Ich. »Staaten, Ew. Durchlaucht! werden für Jahrhunderte gebauet; nicht für die Lebenszeit eines Mannes! Ich habe die Persönlichkeit nicht im Auge; - mir schweben Ideen vor, und diese Ideen
...
...

Der Herzog. »Lassen Sie sich von Ihren Ideen nicht hinreißen! - Sie dringen nicht durch
...
...

Und dann Krieg gegen Rußland, Herr Obrist? Wo denken Sie
...
... .«
Der Herzog sah düster vor sich hin. - Mit Zudringlichkeit bestürmte ich ihn an diesem und auch noch am folgenden Tage, und sprach von der Wahrscheinlichkeit glücklicher Erfolge in einem Kriege gegen Rußland, und der Gewißheit unseres Untergangs in einem Kriege gegen Frankreich. Ich will hier nicht alles anführen, was der Herzog mir erwiederte. Eines Morgens sagte er mir: »lch gehe nach Petersburg, Herr Obrist!«
»Die ganze Stadt weiß das Geheimniß! Der König von Preußen wird nicht zum König von Polen gekrönt, antwortete ich.«
Der Herzog warf einen zornigen Blick auf mich; stand mit Hastigkeit von seinem Sitze auf, und entließ mich. Tief hatte ich ihn verwundet. Ich ging in acht Tagen nicht mehr auf das Schloß. Als ich nach dieser Zeit wieder in das Zimmer des Herzogs kam, fand ich den Generaladjutanten, Obristen Kleist, beim Herzog. Der Herzog fragte mich mit einem sehr bedeutenden Blicke, ob ich ihn nach Petersburg begleiten wolle? - Ich verstand die Ironie, und machte einen tiefen Salamalek.

 So groß die Vortheile waren, die wir durch Haugwitzens glückliche Negociationen einerndteten, so klein war die Freude, die man über diese Vortheile, und über die glückliche Beendigung dieser gefahrvollen Krisis in Berlin empfand. Es herrschte eine dumpfe Stille. Es kam mir vor, als wolle man von einem Manne, gegen welchen man eben das Schwerdt gezogen gehabt; solche kostbare Geschenke nicht annehmen. Wir betrachteten nicht das Verhältniß Preußens zur Welt überhaupt, und zu Frankreich insbesondere; wir faßten nur das Verhältnis der Persönlichkeit ins Auge; d. h.; wir mißkannten unsere Lage und die Lage der Welt; wir wähnten: noch immer sei Europa durch ritterlichen Sinn, durch Gemüthlichkeit verbunden. Eigentlich ist, so lange die Welt steht, das Verhältniß der Staaten nie auf eine solche Gemüthlichkeit gegründet gewesen. Die kalte, ihre Vortheile genau berechnende Politik ist das Band der Staaten. Ludwig XII. von Frankreich war ein herrlicher König; aber der Gemüthlichkeit opferte er die Politik nie auf.

 In einer der vielen politisch-militärischen Konferenzen, welche im Monat December 1805 auf dem königlichen Schlosse zu Berlin gehalten wurden, äußerte sich des Baron Hardenbergs Gemüth auf eine sehr auffallende Weise. Es wurde über die Vortheile der Haugwitzischen Negociationen gesprochen. »Aber, was wird die Armee dazu sagen?« sagte Hardenberg. - Die Armee hat sich wieder nicht schlagen können.«

 Wenn irgend etwas die Gemüthlichkeit des Barons Hardenberg gerührt, so ist es diese Anekdote, für deren Wahrheit ich mit meinem Kopfe hafte. Dieser Staatsminister glaubte also nicht, daß sich in Verbindung mit der französischen Armee für die preußische Armee Gelegenheiten genug zeigen würden, sich zu schlagen; er wollte nur, daß sich diese Armee gegen jene schlüge. Also nicht das Interesse des Staates, die Gemüthlichkeit leitete die Meinungen des Barons Hardenberg. - Ich wiederhole, daß ich diesen Mann geliebt habe und noch lieben möchte; ich zeichne seinen Charakter für die Nachwelt.

 Ich begriff wohl, daß die Abtretung Anspachs und Cleve, dieser uralten Besitzungen der Hohenzollern, die Besitzergreifung und Einverleibung Hannovers; diese Besitzungen königlicher Anverwandte und persönlicher Freunde, diesem Gemüthe wehe thun müsse, aber ich begriff auch, daß der Vortheil des Staates erheischt, vertheidigungslose Provinzen gegen ein Land umzutauschen, dessen Besitz unsere Macht so außerordentlich vermehren werde. Die Politik des Königs müsse also, glaubte ich, das Gemüth des Königs überwiegen; die Moralität des Privatmannes müsse dem Gesetze der Nothwendigkeit weichen, und das Wohl der Welt erfordere, daß England aufhöre, durch den Besitz Hannovers Einfluß auf den deutschen Staatskörper zu haben. Auch ich habe denjenigen beigepflichtet, welche behaupten, durch den Verlust Hannovers würde das englische Anleihesystem einen Stoß erhalten, und durch den Fall dieses Systems wurde die Freiheit der Meere hergestellt werden.

 Dies war meine Ansicht der Dinge; sie ist es heute noch. Aber zu dieser Ansicht der Dinge gehört auch, daß Graf Haugwitz nicht nur über den Tausch der mehrerwähnten Provinzen, sondern auch über die neue Verfassung, welche Deutschland erhalten sollte, und erhalten mußte, in Wien unterhandelte. lndem er seine Hände dazu bot, Deutschland zu zertrümmern, mußte er auch seine Hände dazu bieten, Deutschland wieder aufzubauen. Jenes that er, und dieses mußte man von ihm erwarten, wollte der Graf Haugwitz den Namen eines Staatsmannes verdienen.

 Graf Haugwitz brachte den unvermeidlichen Krieg, wenn wir in Napoleons Absichten nicht eingingen. Wollten wir das Recht der Eroberung, vermöge dessen Frankreich das Churfürstenthum Hannover besaß, nicht als ein vollgültiges, einen Tausch rechtfertigerides Recht anerkennen; so mußten wir diesen Tausch kurz von der Hand weisen, und es nun darauf ankommen lassen, ob uns Frankreich deswegen mit Krieg überziehen werde. Wenn ich den ersten Fall, die Einverleibung Hannovers, dem Interesse des Staats vortheilhaft erklärt habe, so halte ich diesen zweiten Fall dem Gemüthe, der Moralität, dem Charakter des Königs angemessener.

  Der König stand in der reinsten Moralität da. Napoleon durfte ihn nicht antasten. Der König trug die Aegide der öffentlichen Meinung. Die Welt bewunderte ihn. Und ging Er unter, so ging er in der reinsten Moralität unter. - Der Mensch mußte ihn lieben; der Politiker den Staatschef verdammen; doch mußte die Heiligkeit des Königs dem Zeitgenossen und der Nachwelt ehrwürdig seyn. Denn der König handelte nach seiner innigsten Ueberzeugung; Er blieb sich getreu.

 Zwischen diesen beiden Fällen also mußte rein entschieden werden. Man mußte nicht einen Augenblick glauben, daß es einen dritten Fall geben könne. Man suchte diesen dritten Fall; Suchen führt zum Schwanken, Schwanken zum Fallen - zum Untergang. Man wollte, man konnte sich nicht zur Freiheit, erheben. Nur im männlichen Entschluß liegt Freiheit.

 Die ächte Politik hat die redlichen Gesinnungen des Königs, wenn man ihn, was man nie sollte, als Privatmann betrachtet, unterdrückt; und die falsche Politik seiner wankelmüthigen Pseudo-Staatsmänner hat dem Könige, als Staatschef, die Früchte der ächten Politik geraubt. Diese falsche Politik hat den Krieg gegen Schweden und Rußland vermieden, und den Krieg gegen Frankreich herbeigeführt. Verhängnißvolles Schicksal eines Königs, der eine glückliche Regierung verdiente, weil er sein Volk liebte! Das Füllhorn des Segens wollte Er über sein geliebtes Volk ausgießen! Untergang und Verderben haben seine nächsten Umgebungen schuldlos (weil das Gemüth nicht fehlte, der Verstand nur irrte) herbeigezogen.

 Der Monat December 1805, und die Monate Januar, Februar und März 1806 sind entscheidend für das Schicksal Preußens gewesen. Obgleich der Verfasser dieser Schrift nicht einen Band voll Briefe geschrieben, wie ein bitterböser Schriftsteller behauptet; so hat er doch viele Briefe geschrieben, und in denselben seine Ansichten unverholen hingestellt. So weit geht seine Freimüthigkeit, zu sagen, daß der Pomp, mit welchem das Geburtsfest des Kaisers Alexander am 28sten December gefeiert, und die frohlockende Freude, mit welcher der Großfürst Konstantin empfangen wurde, jenem ruhigen, würdevollen Betragen, welches unsere Politik besonders in diesen Momenten erheischte, nicht angemessen schien. Wir waren nur Gemüth, und wir mußten die Intelligenz gewinnen und das Gemüth nicht entrüsten. Wir wußten ja, daß selbst Friedrichs Tafelgespräche und seine Ausfälle auf jene drei berühmten Frauen viel Unheil veranlaßt hatten.

 Als wir nach des Grafen Haugwitz Rückkunft aus Wien, nicht mit frohem Muthe die uns dargebotenen VortheiIe ergriffen, als der Herzog von Braunschweig das Amt eines Großbothschafters übernahm, und nach Petersburg reiste; der Graf von Haugwitz aber noch einmal an Napoleons Hoflager gesendet, und nach seiner Zurückkunft von Paris, selbst in dem Vorzimmer des Königs, freilich ohne Vorwissen des Königs, gemißhandelt wurde; als die Unbesonnenheit einiger bis zum Pöbel herabgesunkener Menschen das Haus des Grafen Haugwitz stürmte, und man sich einen großen Mann ins Ohr raunte; und aller dieser Unglimpf auf den Mann fiel, den Napoleon mit seinem Wohlwollen beehrt hatte; als unbärtige Jünglinge dem Minister Hardenberg eine freudenvolle Musik brachten, weil Hardenberg Krieg gewollt, und er, der Minister des Königs, die Autorität des Königs in einem öffentlichen Blatte kompromittirt hatte; als die Hannöverische Armee auf dem Kriegsfuß stehen blieb; Nienburg, Hameln, Magdeburg, in Vertheidigungsstand gesetzt werden sollten; als endlich Gustav IV. sich herausnahm, mit dem Trotz eines Gebieters zu sprechen: - da sah ich Preußen mit beschleunigter Geschwindigkeit in den Abgrund sinken.

 Bald nach des Marquis Lucchesini Ankunft hatte ich in Erfahrung gebracht: auf die Abründung und Entschädigung in Franken hätten wir Verzicht leisten müssen, wir würden aber endlich erklären, daß wir Hannover in ewigen Besitz zu nehmen beschlossen hätten. Von dieser Voraussetzung ging ich aus, und zeigte die Wahrscheinlichkeit, die Gewißheit, daß wir mit England in Krieg verwickelt werden würden, und daß dieser Krieg und unsere Streitigkeiten mit Schweden auch den Krieg gegen Rußland nothwendig herbeiführen müßten.

 »Napoleon erfüllt nicht den Zweck seines Daseyns, wenn er England nicht bekämpft. Er kann England nicht bekämpfen, so lange Rußland Englands Freund ist. Rußland also muß Napoleon gewinnen, auf seine Seite ziehen, durch Ueberredung oder durch Gewalt. Bei der Erbitterung, die in dem Herzen Alexanders kocht, ist an kein Gewinnen durch Ueberredung zu denken. Napoleon muß also Gewalt brauchen. Napoleon muß Krieg gegen Rußland führen. Um diesen Krieg führen zu können, bedarf er unserer. - Um uns zu gewinnen, hat er uns Hannover gegeben. - Ein Krieg Preußens gegen Rußland ist also ein jetzt unvermeidlich gewordener Krieg. Die Unmöglichkeit, in welcher sich Preußen befinde, einen Offensivkrieg gegen Rußland zu führen, könne man nicht bestreiten; aber die Leichtigkeit, in einem Defensivkriege gegen Rußland glücklich zu bestehen, könne man mit mathematischer Klarheit darthun. (Herv. DH)

 Da Frankreich im Besitze von Braunau geblieben, so könne man mit Zuverlässigkeit auf die Abhängigkeit Oesterreichs von Frankreich, d.h., wenigstens auf die Neutralität der ersten Macht, rechnen. Man werde also den Defensivkrieg gegen Rußland nicht in Süd- und Ostpreußen, sondern nur in dem letztgenannten Lande, und zwar auf der Linie zwischen dem Pregel und dem Narew zu führen haben. Die Verpflegung der Armee könne leicht bewerkstelligt werden, weil man nicht nur im Lande selbst große Hülfsquellen finde, sondern weil man sogar von der Elbe her, durch die Verbindungskanäle der Elbe, Havel, Spree, Oder und Weichsel, alle Armeebedürfnisse auf jenes Kriegstheater mit leichter Mühe schaffen könne. Statt der projectirten Festungen bei Tapiau, Wehlau, Sierock, Modelin, Praga, Thorn u.s.w. könne man durch Hülfe der Armee selbst places du moment erbauen.«

 Rußland habe nur zwei Angriffspunkte: den Angriffspunkt an der Newa, und den Angriffspunkt am schwarzen Meer.
Im Norden, und zwar an der Newa, könne nur Schweden Rußland bedrohen, im Süden aber können Frankreich und die Ottomannische Pforte Rußland tödtende Streiche versetzen. Rußlands große Absicht sei, sich am schwarzen Meere immer mehr und mehr zu befestigen; und man werfe diesen Staat in seinem fortschreitenden Wohlstande auf Jahrhunderte zurück, würden seine Niederlassungen und Anlagen in Odessa, am Phasis und in den sieben Inseln zerstört.

 Zwei Fälle könnten Statt finden: entweder, es glücke dem Kaiser Napoleon, das Gemüth des Königs von Schweden zu gewinnen, oder es glücke ihm dieses nicht. Im ersten Falle, dessen Eintreten allerdings unwahrscheinlich sei, müsse der König von Schweden mit französischem Gelde, vielleicht selbst mit französischen Truppen unterstützt werden, Finnland zu erobern, und Petersburg wenigstens ernstlich zu bedrohen. Könne aber der Kaiser Napoleon den König davon Schweden nicht gewinnen, so müßten wir an der Peene eine Armee von 40.000 Mann aufstellen; damit müsse sich ein französisches Korps von 20,000 Mann vereinigen, in der Absicht, Stralsund zu blockiren, oder selbst zu belagern. Unsere ganze übrige Armee müsse in Ostpreußen versammelt werden, und wir müßten Anstalten machen, diese Provinz auf das hartnäckigste zu vertheidigen, indessen der linke Flügel der französisch-türkischen Armee die Moldau schütze und ihr rechter Flügel über den Dnieper gehe.«

 Dies sind die Betrachtungen, die ich in Monaten Januar, Februar, März anstellte; dies die ersten Lineamente eines Operationsplans, welchen ich dem Könige in den letzten Tagen des Monats März (1806) einsandte; und von dessen Ausführung ich nicht nur die Erhaltung, nicht nur die Dauer, sondern selbst die Vergrößerung der preußischen Macht hoffte, mit Zuverlässigkeit erwartete. Wo war die größte Wahrscheinlichkeit des glücklichen Erfolgs, bei der Partei, welche wir ergreifen sollten, oder bei der, welche ergriffen worden ist? Man werfe einen ruhigen Blick auf alle unsere Verhältnisse, auf die politischen und staatswirthschaftlichen, und beantworte sich diese Frage.

 In Absicht der politischen Verhältnisse bewahrten wir das Palladium unserer Selbstständigkeit. Wir führten hier den Krieg; Napoleon dort. Wir wurden die Schutzwehr Deutschlands; wir wurden der mächtige Damm, an dem sich die Wellen einer zweiten oder dritten asiatischen Völkerüberschwemmung brachen. Die sprühende Kraft Frankreichs wendete sich gegen den Orient; die Blitze, welche Germanien bedroheten, gleiteten in diese entfernte Weltgegend ab. Unter dem Schutze Preußens heilte Deutschland seine Wunden, und gab sich selbst eine heilsame Verfassung. Morea, Candia, Egypten, waren die Eroberungen, die Frankreich als Preis davon trug. Der levantische Handel fiel in Frankreichs Hände. Rußland und England wurden geschwächt; Frankreich wurde wieder zugleich Land- und Seemacht; und, als jene, weniger überwiegend, weil es nicht seine ganze Kraft in eine Schaale werfen konnte. Alle diese Ansichten, und noch mehrere, liegen in jenem Operationsplane. (*) Bedurfte es einer ausführlichem Entwickelung, sich zu diesen Ansichten, auch ohne bewaffnete Augen, zu erheben? Man wollte sich zu ihnen nicht herabsenken.

 In Absicht der staatswirthschaftlichen Verhältnisse trug Preußen, wurde die Verbindung mit Frankreich fest gehalten, das seinige dazu bei, Englands Monopoliengeiste entgegenzuarbeiten. Die Freiheit der Welt beförderten wir! Im entgegengesetzten Falle, und durch unsere Verbindungen mit England und Rußland, und unser kraftloses Entgegenstreben waren wir es, die Deutschlands völlige Umwälzung nicht nur nicht verhinderten, sondern selbst beschleunigten, und alle Greuel des Kriegs auf der ganzen Fläche zwischen dem Rhein und der Weichsel verbreiteten. In den Monaten März und April 1806 glaubte ich freilich nicht, daß der verheerende Krieg so früh ausbrechen, und seinen blutigen Fuß von der Saale bis zur Weichsel setzen würde.

 Aber in den Monaten März und April (1806) habe ich alle diese Ansichten hingestellt; und es gereicht mir zum Troste, sie hingestellt zu haben. Bei allen diesen Bemühungen, den König und mein zweites Vaterland vom Untergange zu retten, ließ ich es nicht bewenden; jede Gelegenheit glaubte ich ergreifen zu müssen, die höchste Aufmerksamkeit zu spannen. Thomas Lobrede auf Sülly war jetzt gedruckt worden. Dieses kleine Werk überreichte ich dem Könige, und beschloß die Zueignungsschrift mit den Worten:

 »Es ist eine Zeit gekommen, Allerdurchlauchtigster! wo der Geist aller geweckt werden muß, weil die Macht des Arms nicht mehr zureicht, wie sie denn nie zureichte. Nur ein großes, herrliches und herrschendes Gemüth, und eine hohe Intelligenz und eine beispiellose Thätigkeit können Europa und Preußen und Eure Königliche Majestät vom Untergange retten.«

 Ich fühlte mehr wie jemals eine lebhafte Neigung für den König; ich liebte ihn um so mehr, je größer die Gefahr war, in welcher ich ihn erblickte.

 

 (*) Massenbach beschreibt hier den gescheiterten Versuch des napoleonischen Frankreich, dem Vereinigten Königreich die Beherrschung des Mittelmeers und des Wegs zum Orient zu entreißen. Den Entwurf für ein solches Ausgreifen Frankreichs aus Mitteleuropa heraus ins Mittelmeer hatte einst der junge Leibniz als für Ludwig XIV. bestimmte Denkschrift »Mars Christianissimus« dem Ratgeber des Erzbischofs von Mainz, Boineburg, vorgelegt, um Europa vom Expansionismus des »Sonnenkönigs« zu erleichtern. Die Vermutung, daß Napoleon diese vergessene Denkschrift Leibnizens zur Kenntnis bekommen hat, ist apokryph, jedoch nicht auszuschließen. – Mutmassung: Daß Massenbach sich so eingeweiht in diese Pläne zeigen kann, spricht dafür, daß er seinen Leibniz kannte. Vielleicht hatte ihm der Herzog von Braunschweig zu dessen Schriften Zugang verschafft.