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35. Jahrgang InternetAusgabe 2001
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Nikolaus von Kues

1401 - 1464

  

  

 De Idiota de Mente:

Connata religio, quae hunc innumerabilem populum in hoc anno Romam et te philosophum in vehementem admirationem adduxit, quae semper in mundo in modorum diversitate apparuit, nobis esse naturaliter inditam nostare mentis immortalitem ostendit, ut ita nobis nota sit nostrae mentis immortalitas ex communi omnium indubitata assertione sicut nostrae naturae humnaitas. Non enim habemus certiorem scientiam nos esse himnies quam mentes habere immortales, cum utriusque scientia sit communis omnium hominum assertio.

Nicolai de Cusa, ob iubilaeum anno 1450

  

 (. . .) Der Ideenhistoriker kann dem heutigen Betrachter Identitätsbrücken bauen, die ins Fremde führen und es besehbar machen, aber er mu wissen, daß er sie konstruiert hat. Es gibt keine problemlosen Spaziergänge in die Vergangenheit der Ideen als in eine in sich fertig vorliegende Natur. Wir können übersetzen, aber wie bei fremden Sprachen vergrößert sich der Unterschied, je besser wir sie kennen. Daher verbietet sich der verbreitete Gestus, die Lösung des Cusanus als Ausweg aus den Nöten der Gegenwart anzubieten und diesen Nutzen als den Gegenwartsbezug des lebendigen Philosophierens anzupreisen; derartige Aktualisierungen setzen nur den Herrschaftsgestus fort, der die Industriegesellschaft zunehmend charakterisiert: Sie kann nichts Gewesenes einfach sein lassen; sie restauriert es zu Tode; sie entfernt sich von ihm, indem sie es zugänglich macht und begehbar; ihre geisteswissenschaftlichen Auftragsarbeiter vollziehen diese Technokratie über das Gewesene, gaukeln uns dessen Lebendigkeit vor, statt in Selbstbesinnung die Gewalttätigkeit zu entlarven, die im selbstbezogenen Verfügbarmachen des Vergangenen liegt. Die anmaßendste Verleugnung des konstruierten Charakters unserer Identitätsbrücken äußert sich in dem Anspruch, zeitüberlegen auf die Sachen selbst zu blicken und von ihnen her geschichtsfrei beurteilen zu wollen, wie weit ein Denker gekommen sei. Diese Attitude, so ambitiös wie vergeblich, korrumpiert die Historiographie der Philosophie; sie kollidiert mit der Einsicht, daß wir auch als Denkende kontingent sind, da wir als faktisch Argumentierende sprachbezogen und zeitgebunden denken. Wir wissen, daß wir nicht mehr wie weiland im zwölften Jahrhundert auf den Schultern der Klassiker stehen können; es bleibt der sokratische Verzicht auf Unmittelbarkeit zu geschichtsfreien Sachen; ein raffinierter gewordenes Selbstbewußtsein historischen Wissens kritisiert Verschmelzungshermeneutiken als technokratisch. Menschen, die heute über sich nachdenken, könnten mit Pascal wissen, daß die wahre Philosophie darin besteht, sich über die Philosophie zu mokieren. Sie stehen als Zwerge vor - im besten Falle - philologisch-professionell bereiteten Glassärgen der Großen, ratlos, suchend, sprach-verwirrt und nicht-wissend, aber dies eben können sie wissen, und zwar so genau, da sie auch noch den Einfluß namhaft machen können, den politische Entwicklungen seit 1933 - die Vertreibung der jüdischen Gelehrten (ich denke besonders an Raymond Klibansky) und die Restauration der fünfziger und sechziger Jahre, das Zweite Vatikanische Konzil und der postkonziliare intellektuelle Zustand der Kirchen in Deutschland - auf die angeblich rein sachorientierte Cusanus-Deutung in der Bundesrepublik hatten.

 Nichtwissende von dieser Art könnten bei eingeübtem und festgehaltenen Differenzbewutsein und bei kohärentem Verzicht auf ewige Wahrheiten den philosophischen Charakter ihres historisch belehrten Nicht-Wissens auch dadurch anzeigen, daß sie es mit einem Ausdruck des Cusanus benennen: docta ignorantia.

Epilog aus Kurt Flasch: Nikolaus von Kues - Geschichte einer Entwicklung Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1998

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