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35. Jahrgang InternetAusgabe 2001
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Frank

 

Hast Du nicht alles selbst

vollendet,

Heilig glühend Herz?

 

Lebensreisen
eines amerikanisch-deutschen Weltbürgers

Biographische Beobachtungen
zu Andreas (Andre Gunder) Frank
 

 In Leonhard Franks autobiographischem Roman »Links wo das Herz ist« (Aufbau Taschenbuch Verlag Berlin 1999) finden sich einige Abschnitte zur Charakterbeschreibung seines Sohnes, mit dem er eigentlich fast nie zusammengelebt hatte:

Michaels Sohn Andreas, der mit seiner Mutter 1941 nach Amerika gekommen war und sich jetzt im Swarthmore-College schon auf das Universitätsstudium vorbereitete, erschien wieder einmal, unangesagt wie immer, bei Michael, um zwölf Uhr nachts, ließ sich der ganzen Länge nach auf die Couch fallen und sagte: »Old boy, ich brauche Schuhe und einen Anzug und Geld für ein Motorrrad.«

Andreas war ein athletischer Junge, um einen Kopf größer als Michael, Langstreckenläufer im Collegeteam und sprach Englisch wie ein geborener Amerikaner und Deutsch nur noch sehr schlecht.

Er wollte zwei Ferienwochen in New York verbringen. Nach zwei Tagen verschwand er, ohne sich von Michael zu verabschieden. Eine Woche später kam er wieder, aus Miami in Florida. Er hatte an der Ausfallstraße Richtung Florida mit Kennerblick einen besonders starken Tourenwagen ausgewählt und mit dem Daumen angehalten, in Florida eine Tasse Kaffee getrunken und war zehn Minuten später wieder nach New York gefahren. Die Reise, hin und zurück 2.800 Kilometer, hatte ihn vier Dollar gekostet.

»Ganz schöne Landschaft in Florida«, sagte er ruhig lächelnd.

Auf dieselbe Weise hatte Andreas von den achtundvierzig Staaten Amerikas schon zweiundvierzig gesehen, und so war er auch fünfmal von New York zu Michael nach Hollywood gefahren und zurück, fünfmal 9.600 Kilometer.
Während der großen Sommerferien arbeitete Andreas, gleich den meisten Studenten, irgendwo in Amerika als Tellerwäscher und Kellner, als Hilfsmaurer oder als Holzfäller für ein Sägewerk. Er verdiente in den Ferienmonaten, was er zum Leben brauchte, und noch ein paar hundert Dollar mehr, die er hinterher achtlos ausgab. In ihm war das große Land Amerika, wo auch der kleine Mann großzügig ist.

 Einige Seiten weiter, auf Seite 241, erleben wir einen zerknirschten Sohn:

Er saß auf der Wiese Michael gegenüber, die Ellbogen auf die Knie gestützt, den Kopf in beiden Handschalen, überlastet wie jemand, der unter Steinmassen verschüttet ist, und fragte in einem Ton, als hätte er schon tausendmal darüber nachgedacht: »Warum habe ich keine besondere Begabung wie du? Aus mir wird nie etwas werden.« Er blickte Michael an, sehnsüchtig fragend und zugleich verloren, als erwarte er ein vernichtendes Urteil.

Michael hatte das Gefühl, daß dies eine der offenen Stunden im Leben eines jungen Menschen sei, wo ein treffendes gutes Wort heilend wirken und den Lebenszug des Verwundeten vom toten Gleis herunter und ins Freie leiten könne. Er sagte lächelnd die Wahrheit: »In deinem Alter glaubte auch ich, daß nie etwas aus mir werden würde. Das hielt noch viele Jahre an. Ich war bis zu den Lippen im Wasser. Als ich schließlich zu schreiben begann, war ich schon achtundzwanzig. Ich kann dir versichern, daß ich in deinem Alter vollständig unfähig gewesen wäre, einen Artikel zu schreiben von der Qualität deines Collegeartikels über Mexiko. Der könnte in jeder guten Zeitschrift stehen. Ich will damit nicht sagen, daß du Schriftsteller werden sollst. Laß dir Zeit. Eines Tages wirst du wissen, was du werden willst. Du bist ein gesunder, warmherziger, gescheiter Mensch. Darauf kommt es an. Ich habe keine Angst um dich.«

Andreas sagte: »Na ja, das sagst du so.« Aber er lächelte ruhig, als hätte er schon besessen, was er soeben in Besitz genommen hatte.
Sie einigten sich, daß er einstweilen Nationalökonomie studieren solle, da dieses Studium eine gute Vorbereitung für viele Berufe sei.

 So erzählt der Vater Leonhard Frank die Aus- und Absprache über den Beginn der Lebenslaufbahn seines Sohnes Andreas (Andre Gunder) Frank.

  In Deutschland sind heute vermutlich beide, Vater und Sohn, vergessen oder bleiben unbeachtet. Vom Sohn des in den zwanziger Jahren weltberühmten Schriftstellers, der in der Emigration der vierziger Jahre in Kalifornien mit Stimmungen und Ideen bei der Arbeit an Thomas Manns »Doktor Faustus« teilnahm (wie viele andere in Manns Umgebung), ist vielleicht nur eine Arbeit bekannt, »Kapitalismus und Unterentwicklung in Lateinamerika«, die deutsch in den stürmischen sechziger Jahren erschien und manchem wachen Kopf über Geschichte und Logik des Kapitals an der Peripherie Europas ein Licht aufsteckte.

 Andreas Frank hatte nicht nur das Studium der Nationalökonomie, sondern auch die meisten der Axiome der politischen Ökonomie damals längst hinter sich gebracht und kam zu Analysen und Schlüssen, mit denen man in der amerikanischen Zunft der etablierten Ökonomen – trotz aller hervorragenden Leistungen und Ergebnisse – nicht mehr arrivieren konnte. In der Maschinerie der Akteure vom »Iron Mountain« war die Arbeit eines solchen Kopfes ein Fremdkörper wie Charlie Chaplin in den Maschinenungetümen von »Modern Times«. Was seine historischen und ökonomischen Untersuchungen erbrachten, wollten die Nordamerikaner in den Vereinigten Staaten nicht wissen; den Amerikanern im Süden fiel es lange schwer, von bequem gewordenen ökonomischen und historischen Legendenbildungen und grundlegenden Annahmen über ihre eigene wirtschaftliche und soziale Unterentwicklung Abschied zu nehmen. Gleichwohl wurde das Chile Allendes für eine Reihe von Jahren eine wichtige Station auf seiner Reise. Während Allendes Regierungszeit, die auch ein heute unterschätztes edelmütiges soziales Experiment war ( – das US State Department und die CIA werden uns mit der Freigabe von immer mehr Akten aus dieser Zeit, eine von Präsident Clinton veranlaßte Maßnahme, für die er alle Achtung verdient, darüber noch eingehend unterrichten – ), war es möglich, mit intelligenten Analysen und Vorschlägen eine Probe darauf zu versuchen, ob sich soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Effizienz vereinbaren lassen. Dies war die von den Ökonomen in den USA nie zusammengedachte Problemstellung, der sich der Hauptteil der Arbeit Franks bis dahin gewidmet hatte.

  Henry Kissinger und Augusto Pinochet wollten es auf das Ergebnis dieses Experimentes erst gar nicht ankommen lassen. Der Fortgang des Experiments wurde mit einem Staatsstreich unterbrochen. Der immer noch zur Mehrheit hinter der gewählten Regierung stehende Volkswille und diejenigen, die ihm am bewußtesten und beredtesten Ausdruck verleihen konnten, wurden mit einer kriminellen Energie bekämpft und gemeuchelt, daß Hitlers SA-Schergen nach dem 30. Januar 1933 wahrscheinlich doch ein wenig beschämt gewesen wären.

 Frank hat das voraussehen können. Mit einigen Freunden aus der Umgebung des gestürzten Präsidenten Allende gelang ihm eine Reise zu einem ( – wie sich herausstellen sollte – ) vorläufigen Ziel, das dem Sohn des emigrierten Schriftstellers Frank doch schon wie eine verwegene Ironie vorkommen mußte: Exil in Deutschland. – Nun, wem für die Vereinigten Staaten, dessen Regierung den Freunden Allendes nicht eben heimatlich gewogen war, zuvor für eine Reihe von Jahren Einreiseverbot erteilt worden war, und wem vor langer Zeit aufgrund der Rückkehr seines Vaters nach Deutschland auch die deutsche Staatsbürgerschaft zugefallen war, der durfte nun durchaus mit lächelnder Freude des Entronnenseins in seine Geburtsstadt Berlin zurückkehren. So schließen sich Kreise.

  Ich bin Andre Gunder Frank 1976 in Frankfurt abends nach einer Tagung von Koryphäen der Friedensforschung über die Sowjetunion und deren mögliche »weltrevolutionäre Wirkung« begegnet, wo wir den schwärmerischen Ausführungen zu den revolutionären Perspektiven in Italien lauschten. Mein Freund und ich, und Frank, hielten davon wenig. Die anderen Partygäste waren nicht erbaut, daß wir nur Bemerkungen machten, die ihnen ihre Illusionen deflationierten. Es hat mich darum auch nicht gewundert, als ich dieses Jahr erfuhr, daß Frank und seine Söhne ganz gern in Frankfurt geblieben wären und daß seine Versuche, hier in Deutschland einen Lehrstuhl zu erhalten, von verschiedenen Stellen hintertrieben worden waren. In seinem autobiographischen Bericht mutmaßt er, daß nicht nur die hessische Kultus- und Innenbürokratie, sondern auch ein nicht wenig prominenter »Kollege«, so vehement es ging, ein Wort gegen seine Festanstellung einlegte. Tja, kann man das »Berufsverbot« nennen, wenn doch der Aspirant gar kein »richtiger« Deutscher war? (*)

 Näheres dazu findet sich in dem umfangreichen Lebens- und Arbeitsbericht »The Underdevelopment of Development«,  bei dem es sich um die 1991 erstmals veröffentlichte Fassung eines autobio-/bibliographischen Essays handelt, der dann später für die Festschrift »ESSAYS IN HONOUR OF ANDRE GUNDER FRANK edited by Sing chew and Robert Denemark, Thousand Oaks: Sage Publications 1996, 427 pp. ISBN 0-8039-7261-X (paperback) bedeutend gekürzt wurde.

 (*) Anmerkung: Zur geistigen Situation jener späten 70er Jahre hat uns David Hartstein einen sogenannten Schubladentext zugänglich gemacht, den wir als Nachtrag zum Thema 1967/1968 mit Vergnügen nachdrucken; zumal, wie uns der Verfasser mitteilt, dieser Beitrag seinerzeit die Seiten der Studien von Zeifragen nicht erreichen konnte.

 Peter G. Spengler